WINNETOU 2. TEIL
ORIGINAL FILM STORY UND FILM BILDER
»Der Tod seines Vaters wurde zum Wendepunkt in Winnetous Leben. Er war jetzt Häuptling und trug die Verantwortung für alle Apatschen, die in den weiten Jagdgründen zwischen Texas und New Mexico lebten. Das rücksichtslose Vordringen der weißen Eroberer drohte einen neuen Indianer-Krieg mit allen seinen Schrecknis zu entfesseln. Der junge Apatschen-Häuptling sah seine Lebensaufgabe darin dieses Unheil, das den Untergang aller Indianer-Stämme bedeuten würde, zu verhindern!«
INHALT
INFO
FILM-STORY
FILM-PLAKATE/ POSTER
REFERENZ
INFO
WINNETOU 2. TEIL
Bilder aus dem Cinemascope-Farbfilm nach dem gleichnamigen Roman von Karl May
Produktion: Rialto-Film Preben Philipsen/Jadran-Film
Regie: Dr. Harald Reinl
Gesamtleitung: Horst Wendlandt
Personen und ihre Darsteller:
Old Shatterhand . . . . . Lex Barker
Winnetou . . . . . . . . . . Pierre Brice
Forrester . . . . . . . . . . Anthony Steel
Ribanna . . . . . . . . . . . Karin Dor
Luke . . . . . . . . . . . . . . Klaus Kinski
Leutnant Merril . . . . . Mario Girotti
Oberst J. F. Merril . . . Renato Baldini
Lord Castlepool . . . . . Eddi Arent
Verleih: Constantin-Film
Einleitung
Seit dem Tode seines Vaters Intschu-tschuna war Winnetou
der oberste Häuptling der Apatschen. Noch immer war der
Friede zwischen Indianern und Weißen nicht gefestigt.
Gebrochene Verträge, Überfälle und das Abschlachten riesiger
Büffelherden hatten Haß, Verbitterung und Mißtrauen gesät.
Die Rothäute hatten das Kriegsbeil wieder ausgegraben, und
eine Kleinigkeit konnte wirken wie der Funke im Pulverfaß
und einen neuen Indianerkrieg entfesseln. Ein solcher Krieg
hätte aber den Untergang der Indianervölker bedeutet. Das
wußte der junge Apatschen-Häuptling Winnetou wohl. Er hatte
es sich zum Ziel gesetzt, diesen Krieg zu verhindern und mit
den Weißen einen dauerhaften Frieden zu schließen. Er hatte
im Sinn, alle Indianerhäuptlinge nach Fort Niobrara zu rufen,
um dort mit Oberst Merril über den Frieden zu verhandeln.
Jetzt war Winnetou auf dem Weg zu Tah-scha-tunga, dem
mächtigen Häuptling der Assiniboins. Sein Rapphengst Iltschi
trug ihn eben einen Hügel hinan, als sein feines Ohr plötzlich
verdächtige Geräusche vernahm. Unter einer Tanne zügelte
er sein Pferd und lauschte, wachsam um sich blickend, während
seine Hand nach der Silberbüchse seines Vaters griff.
Langsam ritt er nun weiter, alle Sinne angespannt. Plötzlich
ertönte ein Schuß, und gleich darauf brach ein mit bunter
Indianerdecke gesatteltes, aber reiterloses Pferd aus dem
Wald und raste in wilder Panik an Winnetou vorbei den Hügel
hinunter. Winnetou jagte nun in die Richtung, aus der das
Pferd gekommen war. Vor einer Lichtung stoppte er jäh. Er
sah einen riesigen Bären, über dessen Flanke Blut floß. Er
hatte sich auf die Hinterbeine erhoben und ging mit wütendem
Brummen und erhobenen Vorderpranken auf eine junge
Indianerin los. Diese, nur mit einem Messer bewaffnet, begegnete
mutig dem mächtigen Raubtier. Ihre Jagdbüchse lag
hinter dem Bären am Boden. Sofort sprang Winnetou vom
Pferd, riß seine Silberbüchse hoch und zielte auf das Untier.
Doch er konnte nicht schießen, weil das Mädchen direkt in
der Schußlinie vor dem Bären stand. Eben griff dieser die
Indianerin von neuem an. Mit einem Prankenhieb zerfetzte er
ihr die Schulter und warf sie zu Boden. Nun riß Winnetou das
Messer aus dem Gürtel und schnellte mit einem mächtigen
Sprung auf den Bären zu. Tief bohrte sich sein Messer in das
Fell des Tieres. Der Koloß wankte und riß Winnetou mit sich
zu Boden. Doch blitzschnell sprang dieser wieder auf und
erwartete einen neuen Angriff des Bären. Mit weit geöffnetem
Rachen nahte dieser. Da warf sich Winnetou mitten zwischen
seine Vorderpranken und bohrte sein Messer tief ins Herz
des Raubtieres. Bevor Winnetou zurückspringen konnte, umschlossen
ihn die Bärenpranken, aber es war keine Kraft mehr
in ihnen. Dann stürzte das Untier, Winnetou unter sich begrabend,
zu Boden und blieb reglos liegen. Winnetou befreite sich von den
Pranken und stand auf. Seine Blicke suchten das Indianermädchen,
das mit schreckgeweiteten Augen
den Kampf verfolgt hatte. Rasch eilte er zu ihr. Sie zeigte auf
den toten Bären und fragte: «Tele schoma motä?» Aber
Winnetou schüttelte lächelnd den Kopf und erwiderte: «Ich
verstehe deine Sprache nicht, sprichst du vielleicht die
Sprache des weißen Mannes?», Das Mädchen antwortete:
«Mein Volk kämpft gegen die Bleichgesichter, aber viele von
uns haben ihre Sprache gelernt.» - «Wie heißt du?», fragte
Winnetou. «Ich heiße Ribanna», antwortete sie, «und wie ist
dein Name?» - «Winnetou.» - «Ribanna dankt Winnetou, er
hat ihr das Leben gerettet», sagte nun die Indianerin ernst.
Winnetou untersuchte nun Ribannas Wunden an der Schulter.
«Du mußt große Schmerzen haben», sagte er. Aber Ribanna
antwortete: «Ich fühle den Schmerz nicht». Da erwiderte
Winnetou: «Die Männer deines Volkes müssen große Krieger
sein, wenn schon die Frauen so tapfer sind. - Doch nun
komm, ich führe dich nach Hause.» Auf seinen Pfiff hin kam
Iltschi sofort aus dem Wald auf seinen Herrn zu. Winnetou
wollte Ribanna aufheben, um sie zum Pferd zu tragen, doch
diese weigerte sich mit den Worten: «Ich kann gehen.» In
diesem Moment hörte Winnetou die Hufschläge nahender Pferde.
Ein Trupp von acht Indianern in voller Kriegsbemalung,
die Lanzen gesenkt, ritt auf Ribanna und Winnetou zu.
Winnetou hob seine Büchse vom Boden auf, doch Ribanna beruhigte
ihn: «Das sind Krieger meines Stammes.» Auf einen Zuruf von
ihr hielten die Reiter an. Einer brachte das reiterlose Pferd
mit der bunten Satteldecke neben Ribanna zum Stehen und
half ihr aufsteigen. Langsam ritten nun Winnetou und Ribanna,
gefolgt von den acht Kriegern, nach Ribannas Heimatdorf.
Dort wurde unterdessen die Kriegstrommel geschlagen.
Frauen und Kinder waren auf den Beinen, um die heimkehrenden
Krieger zu empfangen. Diese schleppten bei der Ankunft im Dorfe
drei gefangene Bleichgesichter mit.
Es waren Leutnant Merril und zwei Soldaten aus dem
Fort Niobrara. Sie
waren am Morgen auf Patrouille geritten und dann von den
Rothäuten gefangen genommen worden. Nun wurden sie mit
langen Stricken an die Marterpfähle gefesselt, die Hände auf
dem Rücken.
Inzwischen war Winnetou mit Ribanna im Dorfe angekommen.
Ribanna führte ihn zu ihrem Vater, der eben aus dem Häuptlingszelt trat.
«Vater, Winnetou hat mir das Leben gerettet,
als mein Schuß einen Bären nur streifte», erzählte sie. Der
Häuptling trat auf Winnetou zu, reichte ihm die Hand und
sprach: «Tah-scha-tunga, der oberste Häuptling der
Assiniboins, dankt Winnetou, daß er sein einziges Kind gerettet hat.
Winnetou möge vor Tah-scha-tunga einen Wunsch aussprechen.
Er soll ihm erfüllt werden.» Winnetou blickte zu den drei
gefesselten Bleichgesichtern hinüber und sprach dann mit
fester Stimme: «Tah-scha-tunga möge diesen weißen Männern
das Leben schenken, das ist Winnetous Wunsch.» Der
Häuptling winkte die Stammesältesten heran und trat mit
ihnen, gefolgt von Winnetou und Ribanna, ins Häuptlingszelt
zur Beratung. Tah-scha-tunga fragte: «Weißt du, was du von
mir verlangst, Winnetou?» - «Ich weiß es», antwortete Winnetou,
«ich erbitte das Leben der Bleichgesichter um des Friedens willen.»
Aber der Häuptling schüttelte den Kopf: «Die
Bleichgesichter haben den Frieden gebrochen, nicht wir. Sie
raubten uns unser Land, und als wir uns wehrten, kamen die
Soldaten, und unsere Krieger fielen wie das Laub von den
Bäumen, wenn der Herbstwind weht. - Und trotzdem ist es
ehrenvoller, zu sterben, als in Knechtschaft zu leben.» - «Das
ist wahr», antwortete Winnetou, «aber was soll aus den Frauen
und Kindern werden, wenn niemand mehr da ist, der sie ernährt?
Krieg heißt Tod, Friede heißt Leben, und um zu leben
hat Manitu uns geschaffen.»
Lange saß Tah-scha-tunga in Gedanken versunken da. Endlich sprach er:
«Winnetou hat recht, was soll ich tun?» Jetzt
redete Winnetou eindringlich: «Die Stämme des Südens
wollen den Frieden. Sende du jetzt Boten zu den Stämmen
des Nordens und fordere sie auf, das Kriegsbeil zu begraben.
Alle Häuptlinge sollen sich im Fort Niobrara treffen und mit
den Weißen über den Frieden verhandeln.» Tah-scha-tunga
überlegte. Dann sagte er zu Winnetou: «In meinem Herzen
wohnen immer noch Zweifel. Aber du hast Ribanna gerettet.
Deshalb tue ich, wie du sagst. Ich werde die Boten senden.»
Er erhob sich und trat mit Winnetou und den andern ins Freie
zu den Gefangenen. Winnetou fragte sie nach Namen und
Herkunft. Als die Antwort ihn befriedigte, nickte er Tah-scha-
tunga zu. Dieser reichte Winnetou sein Messer. Damit zerschnitt
er die Fesseln der drei und sagte zu Merril: «Ihr seid
frei. Reitet zurück und meldet eurem Vater, wenn der neue
Mond sich rundet, kommen alle Indianerhäuptlinge zum Fort
Niobrara, um zu beraten, wie der Friede gerettet werden kann.»
Die Pferde der Weißen wurden gebracht. Bevor Merril aufstieg,
trat er vor Ribanna und sagte ernst: «Danke.» Danach stoben
die drei Geretteten aus dem Dorf der Assiniboins hinaus.
Tah-scha-tunga bat nun Winnetou, als Gast in seinem Dorf zu
bleiben, bis es Zeit sei, nach dem Fort Niobrara zu reiten.
Die drei Soldaten ritten bis zum Einbruch der Nacht. Müde
wie sie waren, suchten sie sich nun einen geeigneten Lagerplatz,
wickelten sich in ihre Satteldecken und schliefen alsbald
ein. Im ersten Morgengrauen erwachte Merril, blieb aber noch
liegen. Plötzlich richtete er sich wachsam auf und lauschte
angestrengt. Was hatte er gehört? Seine Blicke drangen
durch die Morgendämmerung und erkannten einen Trupp von
etwa 50 Reitern, der in weiter Ferne dahinzog. Hastig weckte
Merril jetzt seine. Kameraden und machte sie auf die Reiter
aufmerksam. «Wo wollen die wohl hin?» fragten sie sich.
«Dort unten muß irgendwo ein Dorf der Ponca-Indianer liegen»,
erklärte Merril. «Wenn das nur nicht Unheil bedeutet.»
Schweigend erhoben sich die drei Soldaten und schwangen
sich auf ihre Pferde, um ihren Weg fortzusetzen. Sie ritten
in Richtung Ponca-Dorf und Reitertrupp davon.
Unterdessen näherten sich die Reiter dem Ponca-Dorf. Es
waren verwegen und gefährlich aussehende Männer, alle
schwer bewaffnet. Ihnen voran ritt Forrester, ihr Anführer.
Nicht weit vom Ponca-Dorf entfernt gab er das Zeichen zum
Halten. Die Hälfte der Reiter, alle mit Lassos in den Händen,
stellte sich in einer langen Reihe auf. Dahinter wartete die
zweite Gruppe auf das Zeichen zum Angriff.
Im Ponca-Dorf war noch alles ruhig, die Zelte verschlossen.
Zwei Wächter standen bewegungslos, die Lanzen in der Hand.
Ihnen näherte sich Forrester mit seinen Vertrauten Cäsar
und Luke. «Was wollt ihr?» riefen ihnen die Wächter zu. «Wir
haben den Weg verloren», log Forrester, «ein ganzes Faß voll
Feuerwasser könnt ihr verdienen, wenn ihr uns den Weg
zeigt.» Die beiden Wächter blickten einander an, um sich
zu beraten. Diesen Augenblick der Unaufmerksamkeit benutzten
Forrester und seine Gesellen. Messer blitzten, sausten
durch die Luft, und tödlich getroffen fielen die Wächter. Nun
jagte Forrester aus seinem Revolver einen Schuß in den
Himmel - das Zeichen zum Angriff. Die Lassoreiter preschten
heran, warfen ihre Schlingen über die Stangen, die oben aus
den Zelten ragten und rissen im Weiterreiten die Zelte um.
Geschrei von Frauen und Kindern ertönte. Die Poncas krochen
unter ihren Zelten hervor und wollten flüchten. Aber die
zweite Reitergruppe war da und schoß in das Gewimmel
hinein, Tod und Verderben bringend. Wer sich wehrte, wurde
zu Boden geritten oder erschossen. Nur ein Indianer, der
Häuptling, konnte sich zu den Pferden durchschlagen. Das
zerstörte, nun brennende Dorf verlassend, jagte er davon. Aber
nicht in feiger Angst, nein, er hatte sich Rache geschworen.
In rasendem Galopp ritten Merril und seine Begleiter heran
und blickten sprachlos auf das zerstörte Dorf. Dann erblickten
sie den lachenden Forrester und ritten zu ihm hin. Merril
redete ihn zornig an: «Ihr Mörder, was haben diese Indianer
euch getan? Warum habt ihr das Dorf zerstört? Ihr gehört
an den Galgen. Indianer und Weiße wollen den Frieden -
wenn es nun nicht dazu kommt, ist es eure Schuld. Ich werde
heute noch im Fort Niobrara Meldung über euch erstatten.»
Forrester schrie: «Frieden! daß ich nicht lache, und jetzt
packt euch, wenn ihr nicht eine Ladung Blei in euer freches
Maul wollt!» - Merril wußte, daß sie, unbewaffnet wie sie
waren, nicht Widerstand leisten konnten, wendete sein Pferd
und ritt mit seinen Kameraden davon. Forrester sah ihnen
nach. Dann nickte er Cäsar zu und deutete mit dem Daumen
hinter den Soldaten her. Cäsar verstand sofort. Mit drei
andern folgte er rasch den Spuren Merrils und seiner Kameraden.
Diese erreichten bald einen klaren See, an dessen
Ufer sie sich ausruhen und etwas essen wollten. Aber die
Ruhe dauerte nicht lange. Cäsar und seine Genossen griffen
sie von oben an. Ein Schuß verwundete einen der Soldaten.
Die drei krochen schnell in Deckung. Rings um ihr Versteck
schlugen die Geschosse der Banditen auf die Felsen. Plötzlich
schrie einer der Verfolger auf und stürzte kopfüber zu
ihnen herunter. Seitlich hinter einem Felsen hervor blitzten
Schüsse in schneller Folge, und bald fiel ein zweiter Bandit,
sich überschlagend, von den Felsen herunter. Nun ergriffen
die übrigen die Flucht, aber nur Cäsar und Luke gelang sie.
Jetzt richtete sich der Schütze hinter dem Felsen auf. Er war
groß, blond, mit strahlend blauen Augen. Er rannte zu den
drei Soldaten hinunter. Merril ging ihm entgegen mit den
Worten: «Das war Rettung im letzten Augenblick, ich danke
euch.» Er erzählte nun dem Blonden von ihrer Rettung durch
Winnetou und von dem Überfall auf das Ponca-Dorf. Zuletzt
fragte er: «Und wer seid ihr, wem verdanken wir unser Leben?»
Der Blonde antwortete: «Man nennt mich Old Shatterhand. -
Reitet nun ins Fort zurück und überlaßt die Banditen
mir.» Damit wendete er sein Pferd und ritt davon.
Im Dorf der Assiniboins herrschte Friede. Spielende Kinder
tummelten sich zwischen den Zelten, die Frauen gingen ihren
Arbeiten nach. Am Waldrand übte sieh Ribanna im Bogenschießen.
Winnetou stand lächelnd dabei und bewunderte
ihre Treffsicherheit. Plötzlich brach ein Reiter durchs Unterholz.
«Winnetou, du bist hier!» rief er und hielt an. Winnetou
ergriff Ribannas Hand und zog sie mit sich zu dem Reiter hin.
«Old Shatterhand, mein weißer Bruder!» rief er, «schau, dies
ist Ribanna, die Tochter des Häuptlings der Assiniboins.»
Freundlich begrüßte Old Shatterhand das Mädchen. Zu Winnetou sprach er:
«Wir reiten zusammen zum Fort Niobrara, doch
vorher habe ich noch etwas zu erledigen.» Damit ritt er davon.
Winnetou und Ribanna holten nun ihre Pferde und ritten in
den Wald hinein. «Ich zeige dir etwas», verhieß Ribanna. Am
Fuß einer zerklüfteten Felswand stieg sie ab und ging zu Fuß
weiter, Winnetou folgte ihr. Bald standen sie vor einem
Höhleneingang. Auf Ribannas Ruf brachte ein alter Indianer
eine brennende Fackel. In ihrem flackernden Schein betraten
Ribanna und Winnetou die Höhle. Riesig, märchenhaft im
Fackellicht, wölbte sie sich über ihnen. Leise erklärte Ribanna:
«Diese Höhle ist die letzte Zuflucht für unsere Frauen
und Kinder in Kriegsnot. Sie ist unser großes Geheimnis.
Winnetou ist der einzige Fremde, der es kennt.» - «Bin ich
denn immer noch ein Fremder?», fragte Winnetou. Ribanna
antwortete: «Warte hier, bis ich deine Frage beantwortet
habe.» Damit lief sie zur Höhlenwand hinüber. Dort legte sie
beide Hände an den Mund und flüsterte gegen die Felsen
«Winnetou!» Verwundert blickte sich jetzt Winnetou um, als
das Echo von allen Seiten, lauter als Ribannas Stimme, ertönte:
«Winnetou . . . Winnetou . . Winnetou . . .» - Als das
Echo verhallt war, wandte sich Ribanna wieder Winnetou zu
und lächelte: «Jetzt kennt Winnetou die Stimme unserer
Höhle, er ist kein Fremder mehr.» Hand in Hand verließen sie
darauf die Höhle und ritten ins Dorf zurück.
Old Shatterhand folgte den Banditen, die das Ponca-Dorf
überfallen hatten. Auf einem Bergrücken stieg er ab, um ihre
Spuren näher zu betrachten. Als er sich aufrichtete, murmelte
er: «Hier sind sie nach rechts geritten.» - «Sie irren sich,
diese Spur hört dort drüben auf, Sie müssen sich nach links
wenden», hörte er eine Stimme sprechen. Erstaunt schaute
Old Shatterhand auf und sah einen elegant gekleideten Herrn
hinter einem Baum hervortreten. Ein breites Lachen ging über
sein Gesicht. «Lord Castlepool!», rief er, «wo kommen Sie
denn her?» - «Direkt aus Schottland», antwortete der Lord
«Ich suche Abenteuer, und mit Ihnen werde ich sie sicher
finden. Nehmen Sie mich mit!» Nach einigem Zögern war
Old Shatterhand einverstanden. Der Lord pfiff gellend durch
die Finger, worauf sein Pferd gehorsam aus dem Gebüsch angetrabt kam.
Gemeinsam ritten nun die beiden Männer den
Spuren der Banditen nach. Diese führten sie nach der Ölbohrstation New Venango.
Hier war eben Cäsar von der Verfolgung der Soldaten zurückgekehrt.
Forrester fragte ihn: «Na, erledigt?» Cäsar mußte
den kläglichen Mißerfolg zugeben, meinte aber, wenigsten
habe ihn niemand verfolgt.
Bald kamen Old Shatterhand und der Lord auf das Ölfeld
zugeritten, beobachtet vom Häuptling der Poncas, der die
Spuren der Banditen auch verfolgt hatte. Gelassen ritten die
beiden zu den Baracken, wo Forrester sie empfing. «Was
wollt ihr hier?», herrschte er sie an. «Wir möchten in eurem
Laden Vorräte kaufen», erwiderte Old Shatterhand harmlos.
Aber davon wollte Forrester nichts wissen. Nur ein Tauschhandel
käme in Frage, meinte er. Er bot Old Shatterhand
Waren für 150, 200, dann 300 Dollar an für sein Pferd.
Schließlich nickte dieser: «Also, nimm es.» Forrester trat auf
Hatatitlo zu, um ihn zu greifen. Dieser aber stellte sich auf die
Hinterbeine und teilte mit den Vorderhufen furchtbare
Schläge aus. Niemand konnte sich ihm nähern. Lachend beruhigte
ihn Old Shatterhand. Hatatitlo ließ sich nun mit dem
Pferd des Lords in einen Schuppen führen. Forrester entfernte
sich mit seinen Leuten. Old Shatterhand und der Lord
gingen in den Laden. Hier flüsterte ihm der alte Jesse zu
«Bleibt hier, da seid ihr sicher, ich hole meine Kameraden.
Wir müssen mit euch reden, Old Shatterhand.» Bald kam er
mit vier Männer zurück. Sie erzählten Old Shatterhand,
Forrester haben ihnen gesagt, das Land von New Venango gehört
nicht mehr den Indianern, diese seien fortgezogen. Nun würden
sie aber oft von Indianern angegriffen und könnten
Forrester nicht mehr glauben. Gestern habe dieser sogar ein
Ponca-Dorf überfallen. Sie möchten sich gegen Forrester
erheben, hätten aber keine Waffen. Forrester habe sie ihnen
weggenommen und lasse sie bewachen. Old Shatterhand versprach
ihnen Hilfe. Nach Einbruch der Dunkelheit pirschten sie
sich lautlos an den Waffenschuppen heran, überwältigten den
Wächter und holten die Waffen heraus. Einer von Forresters
Leuten bemerkte sie aber und wollte davonrennen, um Forrester
Meldung zu machen. Plötzlich brach er mit einem Schrei
zusammen. Ein Pfeil des Ponca-Häuptlings hatte ihn getroffen.
Auf den Schrei hin stürmten Forresters Banditen herbei. Ein
heftiger Kampf zwischen ihnen und den nun bewaffneten
Arbeitern entbrannte. Da bemerkte einer den Ponca-Häuptling,
der mit einer brennenden Fackel auf den Ölteich zurannte.
Forrester erkannte die Gefahr und schrie: «Schießt
ihn ab!» Schüsse knallten, aber keiner traf. Mit weit ausholendem
Schwung warf der Ponca die Fackel in den Ölteich,
und eine Feuerwand schoß brüllend daraus empor. Entsetzt
sahen die Arbeiter die Gefahr und wollten fliehen. Aber
Forrester wollte sie nicht entkommen lassen. «Sprengen!»,
befahl er. Sofort schleuderte Cäsar eine Stange Sprengstoff
auf den Teichwall, der krachend barst. Nun wälzte sich ein
Feuerstrom auf die Baracken zu. Alles floh wild durcheinander.
Old Shatterhand tat einen Pfiff, und der brave Hatatitlo
zertrümmerte mit den Hufen die Wand des Schuppens
und stürmte, gefolgt vom Pferd des Lords, auf seinen Herrn zu.
Schnell schwangen sich Old Shatterhand und der Lord auf die
Pferde und flohen mit den Arbeitern vor dem verheerenden
Feuer. «Bergwärts!», schrie Old Shatterhand. Die Pferde
kletterten hurtig die Felsen hinan. Aber das Feuer nahte.
Dicker, schwarzer Rauch nahm Menschen und Tieren den
Atem. Keuchend rangen sie nach Luft. Die beiden Männer
mußten absteigen und die Pferde führen. Da brach der Lord
bewußtlos zusammen. Old Shatterhand nahm ihn auf den
Rücken. Mit letzter Kraft versuchte er, sich und den Bewußtlosen
über die oberste Felskante zu ziehen. Prasselnd nahte
das Feuer. Da erschien in letzter Sekunde Winnetou und
reichte seinem weißen Bruder die rettende Hand.
Inzwischen waren Merril und seine Kameraden im Fort Niabrara angekommen.
Freudig wurden sie empfangen. «Wo habt
denn ihr gesteckt?», rief ihnen einer zu, «wir dachten schon,
ihr kämet niemals wieder.» - «Viel hat wirklich nicht gefehlt»,
antwortet Merril, «wir standen schon am Marterpfahl.»
Merril meldete sich nun beim Obersten, der sein Vater war.
Diesem erzählte er alle Abenteuer, die sie erlebt hatten und
richtete ihm Winnetous Botschaft aus. Der Oberst wollte aber
nicht so recht an die Friedensbereitschaft der Indianer glauben.
Doch Merril bekräftigte seine Erzählung mit den Worten:
«Doch, Vater, sie meinen es ehrlich, Winnetou will auf der
Basis der Vernunft und des guten Willens mit dir verhandeln.»
Winnetou hatte sich mit Old Shatterhand und dem Lord an
das Ufer eines Sees gerettet. Am nächsten Morgen unter-
nahm Winnetou einen Erkundigungsritt, während sich Old
Shatterhand und der Lord am Lagerfeuer ausruhten. Old
Shatterhand war gerade dabei, etwas zu essen, als Winnetou
zurückkam. Dieser erzählte, Forrester und viele seiner Leute
seien noch am Leben, aber bevor man die Banditen mit Hilfe
der Soldaten unschädlich machen könne, müsse der Frieden
abgeschlossen sein. «Wir reiten jetzt nach Fort Niobrara»,
schloß er. «Was wird aber aus dem Lord?», fragte Old Shatterhand.
«Der verabschiedet sich jetzt von Ihnen», antwortete
dieser schnell. Während sich Old Shatterhand und Winnetou
Fort Niobrara zuwandten, ritt der Lord in entgegengesetzter
Richtung davon, auf der Suche nach neuen Abenteuern. Diese
sollten ihm alsobald beschieden sein.
Er ritt nämlich vorerst nach New Venango, um zu sehen, wie
es um Forrester und seine Leute stand. Er band sein Pferd
an einen Baum, legte sich bäuchlings oben auf den Felsgrat
und spähte ins Lager hinunter. Zwei von Forresters Männern
bemerkten ihn und pirschten sich lautlos an ihn heran. Einer
verabreichte ihm einen wohlgezielten Fußtritt, der Lord kippte
vornüber und rutschte kopfvoran den steilen Abhang hinunter
auf einige Männer zu. Mit lautem Gelächter wurde der Lord
unten empfangen. Forrester kam, um sich nach der Ursache
der Fröhlichkeit zu erkundigen. Er erkannte den Lord sogleich
und befahl: «An den Pfahl mit ihm! Er hat Old Shatterhand
geholfen, die Arbeiter aufzuwiegeln.» Als der Lord gefesselt
war, fragte er ihn: «Wo ist Old Shatterhand?» - «Ich weiß
es nicht», antwortete der Lord. «Ach, das wißt Ihr nicht»,
spottete Forrester, «na, dann bleibt Ihr halt so lange am Pfahl,
bis es Euch wieder einfällt.»
Der neue Mond hatte sich gerundet, und wie verabredet ritten
von überall her die Stammeshäuptlinge nach Fort Niobrara.
Auch Winnetou und Old Shatterhand ritten über die Prärie,
um sich zu ihnen zu gesellen. Sie ritten schweigend. Plötzlich
sagte Winnetou: «Weißer Bruder, wenn der Friede gerettet
ist, will ich Ribanna fragen, ob sie meine Frau werden will.
Dann bin ich nicht mehr allein.»
Im Fort Niobrara erwartete man ungeduldig die Ankunft der
Häuptlinge. Der Oberst war immer noch mißtrauisch gegen
die Indianer. Aber Merril bat ihn, wenigstens zu versuchen,
sich mit ihnen zu einigen. Plötzlich krachte ein Kanonenschuß,
und Merril rief erregt: «Sie kommen!» Alle liefen hinaus,
um die Häuptlinge ankommen zu sehen. Schon kamen
sie einer nach dem andern mit ihren Kriegern angaloppiert:
Winnetou und Old Shatterhand allein, Tah-scha-tunga mit
zehn Kriegern, Wa-bish-keh, Häuptling der Osagen, mit zehn
Kriegern, Chapatan, Häuptling der Navajos, mit zehn Kriegern.
Auch die Häuptlinge der Sioux, der Dakotas, der Mandans,
der Pawnees, der Comanchen, Schoschonen und Crow-
Indianer, jeder von zehn Kriegern begleitet, kamen an. Alle
trugen ihre prächtigsten Gewänder und ritten in gestrecktem
Galopp, ihre Waffen schwingend, ins Fort ein. Nur der Ponca-
Häuptling fehlte. Die Häuptlinge stellten sich im Halbkreis
um den Obersten auf, ihre Krieger in respektvoller Entfernung
dahinter. Der Oberst verlas die Friedensbotschaft des weißen
Vaters in Washington. Er endete: «Es geschah viel Unrecht.
Wir werden die Schuldigen bestrafen und den Schaden ersetzen.»
Zustimmendes Nicken und Murmeln der Häuptlinge.
Plötzlich sprengte der Ponca-Häuptling heran, sprang vom
Pferd und schrie: «Krieg! Die Bleichgesichter haben die
Leute meines Stammes umgebracht und unser Dorf zerstört.
Krieg!» Dabei stieß er seine Lanze heftig in die Erde. Mehrere
Häuptlinge stießen ebenfalls ihre Lanzen, in die Erde und
schrien: «Krieg!» Der Oberst versuchte vergeblich zu erklären,
daß die Banditen bestraft werden würden. Von allen
Seiten tönte es: «Krieg!» Der Häuptling der Sioux rief: «Wir
können den Bleichgesichtern nicht mehr glauben. Wer garantiert
mir, daß solche Überfälle nicht wieder vorkommen?»
Da trat Merril vor: «Ich werde euch zeigen, daß die Weißen
die Indianer achten. Ein neuer Bund soll zwischen uns geschlossen
werden. Eine eurer Töchter soll als Frau eines
Weißen ins Fort Niobrara einziehen.» Vor Tah-scha-tunga
tretend sprach er laut: «Ich bitte euch, großer Häuptling der
Assiniboins, gebt mir eure Tochter Ribanna zur Frau.» Bei
diesen Worten erstarrte Winnetou, während die Häuptlinge
einer nach dem andern ihre Lanzen wieder aus der Erde
zogen. Der Friede war gerettet. Still stahl sich Winnetou
davon, um mit Ribanna zu sprechen.
Winnetou traf Ribanna auf einem Hügel, wo sie ihn erwartet
hatte. Freudig eilte sie auf ihn zu. Doch wortlos führte er
sie in ihr Zelt, wo er ihr alles erzählte: «Du weißt jetzt, das
Wohl unseres Volkes hängt von dir ab», schloß er. Aber
Ribanna rief: «Niemand kann uns zwingen, wir fliehen in die
Berge, ich hole mein Pferd!» Da trat Tah-scha-tunga ins Zelt.
«Weiß sie es schon?», fragte er. «Sie weiß es», antwortete
Winnetou. Zu Ribanna sagte er fest: «Gehorche deinem
Vater», und verließ das Zelt. Draußen gesellte er sich zu
Old Shatterhand und sagte leise: «Ich habe gelernt, den
Frieden zu lieben. Jetzt fordert der Frieden ein Opfer von
mir, das die Sonne der Freude in meinem Herzen erlöschen
läßt.» Stumm legte ihm Old Shatterhand die Hände auf die
Schultern.
Bald darauf heiratete Ribanna im Fort Niobrara den Leutnant
Merril. Auch Winnetou und Old Shatterhand waren unter den
Gästen. Aber bevor die Trauung beendet war, verließen sie
das Fort und ritten langsam davon. Aufmunternd sagte Old
Shatterhand zu Winnetou: «Es gibt noch viel zu tun, mein
Bruder, denke an Forrester.» Entschlossen nickte Winnetou
und trieb seinen Rappen an zum Galopp.
Noch immer stand der Lord, an den Pfahl gefesselt, in der
glühenden Nachmittagssonne. Schweiß rann ihm über das
Gesicht. Seine fortwährenden Bemühungen, die Fesseln oder
den Pfahl zu lockern, blieben erfolglos. Von Zeit zu Zeit kam
Forrester, um sich höhnisch nach Old Shatterhand zu erkundigen,
doch der Lord schwieg beharrlich. Dafür spitzte er die
Ohren und vernahm manches von den Gesprächen der Männer,
die an ihm vorübergingen. Eben hatte sich der Wächter
von ihm abgewandt. Da traf ihn ein Steinchen, jemand mußte
es von der nächsten Hausecke aus geworfen haben. Der Lord
blickte dorthin und sah Winnetou, der verstohlen auf den
Wächter deutete. Der Lord verstand. Er rief dem Wächter
eine Frechheit zu, so daß sich dieser sofort ihm zuwandte.
Mit einem letzten Ruck riß der Lord den Marterpfahl aus der
Erde, bückte sich und hieb das obere Pfahlende dem Wächter
so auf den Schädel, daß dieser zusammenbrach. Mitsamt dem
Pfahl hopste der Lord zu Winnetou, der ihn eilends losschnitt.
Iltschi stand schon bereit und zog Winnetou und den Lord
an einem Lasso den steilen Abhang hinauf.
Natürlich blieben sie nicht unbemerkt. Einige Schüsse knallten,
Verfolger machten sich auf. Doch Old Shatterhand hielt
sie von oben in Schach, bis Winnetou und der Lord in Sicherheit waren.
Als die ersten Verfolger oben anlangten, war von
den dreien längst nichts mehr zu sehen. Als sie in Sicherheit
waren, erzählte der Lord, was er erlauscht hatte: «Forrester
ist mit 54 Mann zum Redstone-Canyon geritten. Dort will er
eine Kolonne von sechs Siedlerwagen überfallen. Er will es
so machen, daß es aussieht, als ob Indianer den Überfall
verübt hätten.» Old Shatterhand rief: «Wir müssen die Siedler
warnen, schnell, vielleicht ist es noch nicht zu spät!»
So schnell sie konnten, schwangen sie sich auf ihre Pferde
und jagten, tief über die Hälse der Tiere gebeugt, in
gestrecktem Galopp dem Redstone-Canyon zu. Von weitem schon
sahen sie die rauchenden Trümmer der umgestürzten Siedlerwagen.
Sie waren zu spät gekommen. Sie stiegen ab und
betrachteten tief bekümmert die stummen Zeugen des Überfalles.
Mit traurigem Lächeln hob Old Shatterhand den Teddybären eines Kindes auf.
Doch mit grimmiger Miene wies
Winnetou auf die Indianerpfeile, die in den Toten und überall
im Boden steckten. Aus einer Wagendeichsel zog er einen
Tomahawk. Bitter sagte er: «Schlau eingefädelt ist das.»
Plötzlich schrie Old Shatterhand: «Forrester!» Und schon
sahen sie Forresters Banditen auftauchen. Forrester rief
ihnen höhnisch zu: «Ihr kommt zu spät, edle Friedensengel.
Einer meiner Leute ist jetzt schon im Fort Niobrara. Er wird
als «einziger Überlebender» berichten, wie böse die Roten
hier gehaust haben.» Old Shatterhand und Winnetou ließen
sich nicht einschüchtern. Sie eröffneten das Feuer,
gleichzeitig hinter einem umgestürzten Wagen in Deckung gehend.
Von einer Deckung zur andern und fortwährend auf die Banditen
schießend, zogen sie sich hinter einen Felsgrat zurück.
Trotz eines wahren Kugelhagels aus den Revolvern der
Feinde blieben sie unverletzt, während mehrere Banditen von
ihnen niedergestreckt worden waren. Forresters Leute versuchten
immer wieder, den Felsgrat zu erklimmen, aber gut
gezielte Schüsse warfen sie jedesmal zurück. Cäsar sagte zu
Forrester: «Siebzehn Leute haben wir schon verloren, wollen
wir uns nicht zurückziehen?» Doch Forrester antwortete finster:
«Wir dürfen sie nicht entkommen lassen, sie wissen,
daß die Indianer nichts mit dem Überfall zu tun haben.» Oben
auf dem Grat, versteckt hinter einem Felsbrocken, schüttelte
Old Shatterhand den Kopf: «Sie sind zu viele für uns.» Doch
Winnetou antwortete: «Ich weiß eine List, sie wird uns helfen,
uns zu retten.» Schnell klemmten sie ihre Revolver zwischen
Steinen fest und banden lange Schnüre an die Abzüge. Jeder
eine Schnur in der Hand und damit in regelmäßigen Abständen
die Revolver abfeuernd, schlichen sie sich dann davon.
Unten am See angekommen, ließen sie die Schnüre liegen,
durchschwammen den See und konnten so der Bande entkommen.
Unterdessen schleuderten die Banditen mit einem Hebebaum
ein ganzes Faß Dynamit hinter den Felsen, wo sie Winnetou,
Old Shatterhand und Castlepool vermuteten. Als sich Rauch
und Staub gelegt hatten, rannten sie frohlockend hinzu. Da
gab es lange Gesichter, als ihnen klar wurde, daß sie mit einer
List hereingelegt worden waren und die drei Freunde sich
längst davongemacht hatten. Forrester wußte auch, wohin sie
reiten würden und gab barsch den Befehl zur eiligsten Flucht.
Die Toten und Verwundeten sollte man liegenlassen. Mit dem
Rest seiner Getreuen floh Forrester nun vor der Rache der
Indianer und der Soldaten.
Im Fort Niobrara war eben der «einzige Überlebende» angekommen.
Stammelnd und weinend erzählte er dem Obersten,
die Indianer hätten die Siedlerwagen überfallen und alle Siedler
außer ihm ermordet. Der Oberst sagte zornig: «Da seht ihr,
so sind die Indianer.» Captain Bruce bekam Befehl, frühmorgens
mit 40 Mann zum Redstone-Canyon zu reiten und
sofort zu melden, wenn sie die Erzählung des Mannes bestätigt fänden. Dann wehe den Indianern.
Merril und Ribanna glaubten nicht an die Schuld der Indianer.
Merril suchte den «einzigen Überlebenden», überwältigte und
fesselte ihn, wickelte ihn in eine Decke und schnallte ihn auf
ein Packpferd. Eilig ritten nun Merril und Ribanna mit ihrem
Gefangenen durch die Nacht zum Dorf der Assiniboins, um
diese zu warnen. Unter den drohend ragenden Lanzen der
Krieger, vor den finsteren Gesichtern des Häuptlings und der
Ältesten gestand der «einzige Überlebende», er nannte sich
Luke, alle Schandtaten Forresters und auch die üble Rolle,
die er nach dem Überfall auf die Siedler gespielt hatte. Die
Empörung unter den Indianern war groß. Weithin hallte ihr
Kriegsgeschrei. Tah-scha-tunga befahl: «Brecht die Zelte ab.
Frauen und Kinder ziehen in die Höhle, Ihr, Merril und Ribanna,
bleibt bei ihnen. Ich führe die Krieger nach New
Venango.» - Nach kurzer Zeit waren die Zelte abgebrochen
und Frauen und Kinder in der Höhle untergebracht. Merril und
Ribanna schauten den davonreitenden Kriegern nach. Luke
blieb unter der strengen Bewachung zweier Krieger zurück.
Forrester und seine Gefährten ritten in halsbrecherischem
Tempo auf den Blackwood-River zu. Diesen gedachten sie zu
überqueren und von da die Grenze zu erreichen. Es war ein
heißer Tag. Gnadenlos stach die Sonne hernieder auf die
fliehenden Banditen. Schweiß strömte ihnen über die Gesichter.
Durst quälte sie. Der waghalsige Ritt strengte sie an.
Auch ihre Pferde begannen die Strapazen zu spüren. Immer
häufiger strauchelten sie. «Wir schaffen es nicht», keuchte
einer. «Wir müssen es schaffen», zischte Forrester, «sonst
sind wir verloren.» Endlich gelangten sie an einen klaren
Wasserlauf. Die Männer flogen aus den Sätteln, legten sich
bäuchlings halb ins Wasser und tranken. Zwischen ihnen
standen die Pferde und löschten ebenfalls ihren Durst.
Aufatmend meinte einer der Banditen: «Hier wollen wir lagern.»
Doch Forrester saß schon wieder auf dem Rücken seines
Pferdes und rief: «Wir müssen weiter, unser Vorsprung ist
nur gering. Wer hier zurückbleibt, fällt den Verfolgern in die
Hände.» Und schon jagte er davon, bald gefolgt von seinen
Kumpanen. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichten sie den
Blackwood-River. Menschen und Tiere waren erschöpft. So
beschloß Forrester, die Nacht hier zu verbringen und die
Flucht erst am Morgen fortzusetzen.
Während sich seine Gefährten auf der Flucht befanden, lag
Luke gefesselt und bewacht unter einem Baum. Bei Anbruch
der Nacht zündeten seine Wächter ein Feuer an. Ihre Wachsamkeit
hatte nachgelassen, weil Luke, offenbar in sein
Schicksal ergeben, sich ruhig verhielt. Luke dachte aber nicht
daran, sich zu ergeben. Vorsichtig rollte er sich, nach jeder
Drehung lange wartend, auf das Feuer zu. Die Wächter standen
in einiger Entfernung. Luke drehte sich mit dem Rücken
zum Feuer, ergriff eine Kohle und sengte sich damit die
Handfesseln durch. Schnell löste er auch die Fußfesseln,
packte den am Boden liegenden Tomahawk eines Wächters,
schnellte hoch und schlug die beiden Indianer mit zwei scharfen
Hieben zu Boden. In langen Sätzen rannte er zu seinem
Pferd, schwang sich hinauf und machte sich auf den Weg,
Forrester einzuholen. Als er am Blackwood-River ankam,
dämmerte schon der Morgen, und Forrester und seine Leute
waren am Aufbrechen. Mit freudigem Geschrei empfingen sie
Luke. Dieser sprach: «Wir brauchen nicht weiter zu fliehen.
Ich weiß, wo die Frauen und Kinder der Assiniboins sich
versteckt halten. Merril und Ribanna sind dabei. Die nehmen
wir nun alle als Geiseln. Los, zuerst zum Dorf der Assiniboins.
Von dort müssen wir nach Süden reiten und dazu genau bis
900 zählen. Dann kommen wir zu einer Höhle, und dort sind sie
versteckt.» - «Auf!», rief Forrester, «das ist unsere Rettung!»
Captain Bruce ritt mit seinen 40 Mann wie befohlen zum
Redstone-Canyon. Was er dort sah, überzeugte ihn von der
Schuld der Indianer. Sofort sandte er Boten ins Fort zurück.
Er selber wollte mit den übrigen hier bleiben, die Toten begraben
und auf Verstärkung aus dem Fort warten. Dann sollten die Rothäute
verfolgt und bestraft werden. Noch am
selben Tag stieß der Oberst persönlich mit allen verfügbaren
Soldaten zu ihm. Sie rüsteten sich eben zum Aufbruch nach
dem Dorfe der Assiniboins, als Old Shatterhand bei ihnen
eintraf. Von ihm vernahmen sie, wie sich die Sache in Wirklichkeit
verhielt. Sie beschlossen nun, unter Old Shatterhands
Führung den Spuren der Banditen zu folgen und die Verbrecher
endlich gefangen zu nehmen. Sie kamen bis an den
Blackwood-River, wo die Spuren plötzlich kehrt machten.
Old Shatterhand erkannte, daß sie zum Dorf der Assiniboins
führen mußten. Größte Eile war nun geboten - wenn es nicht
schon zu spät war - den Indianern Hilfe zu bringen.
Tah-scha-tunga und seine Krieger fanden in New Venango
alles verlassen vor. Erst nach langem Klopfen öffnete ihnen
ein zurückgekehrter Arbeiter und erklärte ihnen, von Forresters
Leuten sei niemand mehr hier. Enttäuscht hielten die
Indianer Rat. Sie beschlossen, zu der Höhle zurückzureiten
und nachzusehen, ob dort alles in Ordnung sei, bevor die
Verfolgung Forresters wieder aufgenommen werden sollte.
Unterwegs schloß sich ihnen Winnetou an. Er überbrachte
Tah-scha-tunga eine Botschaft von Old Shatterhand. Die beiden
Häuptlinge sollten mit den Kriegern sofort zur Höhle reiten.
Old Shatterhand würde mit den Soldaten ebenfalls hinkommen.
Ribanna und Merril wähnten sich mit den Frauen und Kindern
der Assiniboins in der Höhle in Sicherheit. Sie hielten sich
sorgfältig verborgen und zündeten auch kein Feuer an, um
nicht durch den Rauch ihr Versteck zu verraten. Nur Merril
trat von Zeit zu Zeit vor die Höhle, um nach den Kriegern der
Assiniboins Ausschau zu halten. Einen Tag und eine Nacht
hatten sie schon in der Höhle verbracht. Gegen Mittag des
zweiten Tages trat Merril wieder ins Freie, um sich umzusehen.
Es zeigte sich niemand, doch der Wind trug deutlich
den Klang von Pferdehufen und das Schnauben der Tiere zu
ihm herauf. Schnell wandte er sich um und lief in die Höhle
zurück. «Sie kommen, die Krieger kommen zurück!», rief er
Ribanna und den andern Indianerinnen zu. Lauter Jubel erhob
sich. Alle drängten vor den Eingang, um die Heimkehrenden
zu empfangen. Merril schaute scharf nach den Reitern aus.
Eben bogen sie um einen Felskopf. Da erkannte Merril Forrester
und seine Bande. «Schnell zurück, es sind Feinde!», rief
er den Frauen und Kindern im Höhleneingang zu. Eilends
verschwanden alle in der Höhle. Ribanna folgte ihnen und
gebot ihnen absolute Stille. Niemand durfte reden oder sich
bewegen. Kein Laut durfte aus der Höhle dringen. Merril
verbarg sich neben dem Eingang hinter einem Felsbrocken.
Langsam, im Schritt, kamen Forrester und seine Männer
geritten. Luke zählte laut: «Achthundertsieben - achthundertacht
- da, diese Höhle muß es sein!» Damit zeigte er zum
dunkel gähnenden Höhleneingang hinauf. Forrester befahl:
«Vorwärts!» und gab seinem Pferd die Sporen. Im Galopp
folgten die andern.
Jetzt stürzte Merril tief geduckt in die Höhle zurück. Er
bedeutete Ribanna: «Wir müssen weiter zurück, sie haben die
Höhle entdeckt, sie kommen herauf!» Sofort sammelten alle
in lautloser Hast den Hausrat auf und verschwanden in den
dunklen Tiefen der Höhle, einen kleinen See umgehend. Dann
versteckten sie sich hinter Tropfsteinen und Felsblöcken und
verharrten regungslos.
Forrester und seine Leute sprangen vor dem Aufstieg zur
Höhle von den Pferden. Geduckt, mit schußbereiten Waffen,
pirschten sie sich nach oben auf den Eingang zu. Jetzt waren
sie da. «Merril, ihr sitzt in der Mausefalle!», rief Forrester in
die Höhle hinein, kommt ohne Waffen mit eurer Frau heraus,
sonst seid ihr alle verloren!» Hastig fragte Merril Ribanna:
«Hat die Höhle einen zweiten Ausgang?» Ribanna antwortete:
«Weiter hinten führt eine schmale Spalte nach oben, aber die
Wände sind glatt, niemand kann da hinauf.»
Nun drangen Forrester und seine Kumpane mit brennenden
Fackeln in die Höhle ein. Merril und Ribanna hörten es. Merril
raunte Ribanna zu: «Wenn wir ganz still und unbeweglich sind,
bemerken sie uns vielleicht nicht.» Jetzt nahten die Banditen.
Mit den Worten «sie müssen hier sein» hob einer eine
Indianerdecke vom Boden auf. Jetzt waren sie beim See. Der
Schein der Fackeln spiegelte sich im Wasser. Jetzt waren sie
ganz nahe, gingen vorbei, ohne die Versteckten zu sehen.
Da fing ein kleines Kind klagend zu weinen an. Schnell
drückte ihm die Mutter die Hand auf den Mund. Zu spät. «Da
sind sie!», schrie Forrester und fuhr herum. Jetzt schoß Merril.
Von der Kugel getroffen taumelte Luke nach hinten. Auch
Ribanna schoß, und wieder fiel einer der Banditen. Nun begannen
auch die Banditen zu schießen. Merril wurde getroffen
und ließ seine Waffe fallen. Während sich Ribanna über ihn
beugte, wurden sie von Cäsar und Forrester gepackt und
hochgerissen. Man band ihnen die Hände auf den Rücken
und stieß sie schimpfend und fluchend dem Ausgang zu.
Forrester hatte nur einen Mann als Wache bei den Pferden
zurückgelassen, die andern nahm er alle mit in die Höhle.
Der Wächter schaute gespannt seinen Kumpanen nach. Als
der letzte im Höhleneingang verschwunden war, wurde der
Wächter blitzschnell von hinten überfallen, am Schreien ge-
hindert und gefesselt. Old Shatterhand und der Oberst waren
mit den Soldaten angekommen. Sie zerrten den gefesselten
Wächter hinter einen Felsblock und begaben sich dann alle in
Deckung, doch so, daß ihnen der Ausblick zur Höhle frei blieb.
Sobald sich der erste Bandit im Höhleneingang zeigte, eröffnete
Old Shatterhand das Feuer. Forrester gab Carter den
Befehl, die Höhle nach einem zweiten Eingang abzusuchen.
Zu Merril gewendet lachte er höhnisch: «Eure Leute werden
Augen machen, wenn wir euch und eure Frau als Schild
benutzen.» Dann trat er hinter einen Felsen beim Eingang.
Hinter einem mächtigen Baumstamm hervor trat nun Old
Shatterhand und rief laut zur Höhle hinüber: «Ergebt euch,
die Höhle ist umstellt. Legt die Waffen nieder und kommt mit
erhobenen Händen heraus!» - «Achtung, wir kommen!», ertönte
sogleich Forresters Antwort. Die gefesselte Ribanna
als Schild vor sich her schiebend, trat er aus der Höhle. Cäsar
stieß Merril hinaus. Sofort stellten die Soldaten das Feuer
ein. Der Oberst stöhnte entsetzt: «Merril und seine Frau!» -
Jetzt rief Forrester laut: «Ich habe hier zu befehlen, nicht ihr.
Ribanna und Merril sind in meiner Gewalt. Wenn ihr sie
lebendig wieder haben wollt, habt ihr folgende Bedingungen
anzunehmen: 1. Freien Abzug für mich und meine Leute bis zur
Grenze. 2. Tausend Schuß Munition. 3. Verpflegung für zwei
Wochen. 4. Alles ist niederzulegen bei Old Shatterhands
Baum. 5. Ihr zieht euch alle außer Schußweite zurück.
Erfüllt ihr diese Bedingungen, lassen wir unsere Gefangenen
an der Grenze frei. Andernfalls . . .» Ein bedeutungsvolles
Schweigen folgte. Der Oberst knurrte: «Dieser Schuft!» Um
Zeit zu gewinnen, entgegnete Old Shatterhand den Banditen:
«Wir nehmen an, aber unsere Packpferde mit Munition und
Lebensmitteln sind weit zurückgeblieben. Wir brauchen eine
Stunde, um sie herzuholen.» - «Gut», erklärte Forrester,
«aber keine Minute länger.» Cäsar befahl er: «Bringt die
beiden Gefangenen hinten zum See und bindet sie dort an.»
Er selbst zog sich auch in die Höhle zurück. Unterwegs traf
er auf Carter, der von seinem Erkundungsgang im Innern der
Höhle zurückkam. Er meldete: «Es gibt keinen zweiten Ausgang,
außer einer engen Felsspalte. Diese öffnet sich 40 Fuß
über dem Höhlenboden. Da kann man nur mit einem Seil
hinaus, das von oben heruntergelassen wird.» Forrester befahl,
zwei Mann als Wache bei der Spalte zu postieren.
Die Zeit verging. Angespannt lauschten der Oberst und Old
Shatterhand auf ein Geräusch, das ihnen die Ankunft Tah-
scha-tungas mit seinen Kriegern verraten sollte. Aber nichts
ereignete sich. Schon war die Hälfte der Frist um. Besorgt
blickte der Oberst vor sich hin, während Old Shatterhand
fieberhaft auf andere Möglichkeiten zur Rettung sann.
Im Hintergrund der Höhle wurden Ribanna und Merril an einen
Felsblock gefesselt. «Fürchte dich nicht, Ribanna», tröstete
Merril, «die Freunde werden uns retten.» Leise antworte seine
Frau: «Ribanna hat keine Angst - sie hat Old Shatterhand
gesehen und weiß darum, daß auch Winnetou nicht weit ist.»
Geführt von Tah-scha-tunga und Winnetou kamen die Assiniboins
durchs Felsental geritten. Winnetou ritt schweigend
neben Tah-scha-tunga, aufmerksam seinen eindringlichen
Worten folgend. Sie hatten die Schüsse von der Höhle her
vernommen und wußten, was sie zu bedeuten hatten. In
einem engen Talkessel zügelte Tah-scha-tunga sein Pferd,
deutete auf eine wilde Geröllhalde und rief: «Da!» Sofort
galoppierte Winnetou auf die Geröllhalde zu, gefolgt von
zwanzig Kriegern. Sie wollten zu dem See, den Tah-scha-
tunga Winnetou bezeichnet hatte. In diesen See mündete der
Höhlenbach. Die Mündung wollten sie suchen und dann, unter
Wasser schwimmend, in die Höhle eindringen, um Ribanna
und Merril beizustehen. Tah-scha-tunga ritt weiter zur Höhle.
In der Höhle wartete Forrester ungeduldig darauf, daß sich
Old Shatterhand melde, oder daß die Frist ablaufe. Aber
nichts ereignete sich. Plötzlich rief ihm einer vom Eingang
her zu: «Boß, seht, dort unten!», und zeigte aufgeregt ins Tal
hinunter. Forrester beugte sich vor und sah Tah-scha-tunga
herangaloppieren, gefolgt van der langen Reihe seiner Krieger.
Neben Old Shatterhand sprang der Häuptling vom Pferd.
«Der wird sich hüten, frech zu werden,» murmelte Forrester,
«er weiß, daß wir seine Tochter haben.»
Inzwischen war die Stunde fast vorbei. Forrester trat vor die
Höhle und rief: «Heh, ihr da unten, die Zeit ist um! Wenn ihr
uns zum Narren haltet, lasse ich den Gefangenen die Zunge
herausschneiden! Ich gebe euch noch zwei Minuten!» Mit der
Uhr in der Hand stand er da, laut zählend: «Achtundfünfzig -
neunundfünfzig - sechzig.» In diesem Moment gab Old Shatterhand
das Zeichen zum Angriff. Schießend stürmten die Soldaten,
geführt von Old Shatterhand, Tah-scha-tunga und dem
Obersten, den Aufstieg zur Höhle. Forrester wurde in den
Arm getroffen und flüchtete in die Höhle.
Winnetou und seine Krieger waren beim See angekommen.
Am gegenüberliegenden Ufer sahen sie das Felsentor, durch
welches der Höhlenbach in den See mündete. Die Indianer
legten ihre Jagdröcke und die Gewehre am Seeufer nieder.
Pfeile und Bogen, Messer und Tomahawk behielten sie. Einer
nach dem andern glitt hinter Winnetou ins Wasser, um den
See zu überqueren. In den Felsen des gegenüberliegenden
Berghanges sahen sie Krieger der Assiniboins zum Ausgang
der Felsspalte klettern. Bald hatten sie das Felsentor erreicht.
Noch einmal atmete Winnetou tief ein und tauchte dann dicht
an den Felsen in die Tiefe. Seine 25 Krieger folgten ihm ohne
Zögern einer nach dem andern. Unter Wasser schwammen
sie in langer Reihe ins nachtdunkle Innere des Berges.
Jenseits des engen Felsentores weitete sich die Höhle. Die
Schwimmer konnten auftauchen. Doch sie mußten im Wasser
bleiben. Dicht über ihnen hingen schwarz und drohend die
Felsen. Endlich wichen sie zurück. Die Höhle weitete sich.
Der Bach wurde zu einem See. Sie waren angekommen.
Lautlos stiegen sie ans Ufer und schlichen im Schatten der
Felsen auf die trockene Höhle zu, wo sie Ribanna und Merril
mit den Frauen und Kindern zu finden hofften. Von weitem
sah Winnetou jetzt den Schein der Fackeln. Bald konnte er
die Gesichter der Indianer und der Banditen erkennen. Auch
Ribanna und Merril, an den Felsen gebunden, waren zu sehen.
«Ribanna!», hallte jetzt geisterhaft Winnetous Stimme aus
den Tiefen der Höhle. Erschrocken sprangen die Banditen
auf, während das Echo Winnetous Ruf aufnahm und vielfach
wiederholte. Ribannas Augen leuchteten auf. «Er ist da,
Ribanna hat es gewußt», flüsterte sie. Laut rief sie: «Winnetou!»
Auch dieser Ruf wurde vom Echo aufgenommen und hallend
wiederholt. Die Banditen fuhren herum und starrten auf Ribanna.
Es war ihnen unheimlich zumute. In diesem Augenblick
brach gellend das vielstimmige Kriegsgeschrei der Krieger
los: «Eija - hei!» und widerhallte tausendfältig von den Ge-
wölben der Höhle. Überall schienen jetzt indianische Krieger
aus den Felsen zu wachsen. Im schwirrenden Hagel ihrer
Pfeile flohen die Banditen dem Höhlenausgang zu. Doch die
Pfeile erreichten sie alle. Einer nach dem andern sank
getroffen zu Boden, und bald sausten die Tomahawks der
Krieger auf die noch lebenden nieder.
Gleichzeitig drang Old Shatterhand mit den Soldaten in die
Höhle ein. Mit gut gezielten Schüssen empfingen sie die
flüchtenden Banditen. Sich der wilden Schüsse aus deren
Gewehren nicht achtend, drangen sie weiter vor. Gleichzeitig
mit Winnetou langte Old Shatterhand bei den beiden Gefangenen an.
Winnetou befreite eben Ribanna, dann Merril von
den Fesseln. In diesem Moment sah Old Shatterhand, wie
Forrester mit seinem Revolver auf Ribanna anlegte. Da hob
er seinen Henry-Stutzen, drückte ab, und mit einem unterdrückten
Schrei ließ Forrester seinen Revolver aus der getroffenen Hand fallen.
Das Kampfgetümmel dauerte noch
eine Weile an. Die Banditen wehrten sich verzweifelt gegen
die Übermacht der Indianer. Schließlich wurde der Lärm
schwächer. Forrester war besiegt, alle seine Leute tot. Er
selbst suchte in wilder Hast aus der Höhle zu entkommen.
Merril und Old Shatterhand wollten den fliehenden Forrester
verfolgen. Doch Winnetou hielt sie mit den Worten zurück:
«Laßt ihn, er gehört der Rache der Assiniboins.» Forrester
rannte ohne sich umzublicken bis zur Felsenspalte, aus der
Tageslicht herabsickerte. Er versuchte, zu der Spalte
hinaufzuklettern - umsonst. Er wandte sich nach rechts.
Bewegungslos, mit gespannten Bogen und aufgelegten Pfeilen,
empfingen ihn zwei Krieger. Er wandte sich nach links - auch
hier die drohenden Pfeile der Indianer. Er rannte auf den
Hauptgang der Höhle zu - vergebens - maskengleiche
Indianergesichter, gespannte Bogen, ragende Pfeile auch
hier. Verzweifelt schaute er zur Felsspalte hinauf. Da -
langsam senkte sich aus der Spalte eine Strickleiter herab. Rasch
ergriff er sie und kletterte an ihr empor. Unten nahten die
Krieger, doch keiner schoß.
Oben an der Spalte, hinter Felsen versteckt, warteten die
Assiniboins auf Forrester. Sie hatten die Strickleiter hinuntergelassen.
Bei ihnen befand sich auch der Ponca-Häuptling. -
Jetzt zwängte sich Forrester aus der Spalte. Aufatmend
streckte er sich. Aber alsbald floh er, von Fels zu Fels springend, weiter.
Schon glaubte er sich gerettet. Da traf ihn der
schwirrende Pfeil des Ponca-Häuptlings in die Schulter.
Aufstöhnend schaute er sich um. Entsetzt gewahrte er an der Kante
der Felswand eine lange Reihe Assiniboins, die alle mit ihren
Pfeilen auf ihn zielten. Da rannte er, den Pfeil noch immer in
der Schulter, weiter. Da gellte ein Kriegsruf aus der Felswand:
«Eija- hei!», und von vielen Pfeilen getroffen stürzte Forrester
in die Tiefe. Am Fuße der Felswand blieb er liegen - tot.
Schluß
Tah-scha-tunga war mit seinen Kriegern ins Fort Niobrara
gekommen, um mit dem Obersten den Frieden zwischen Rot
und Weiß zu besiegeln. Die Soldaten standen stramm, als
sich der Häuptling und der Oberst unter dem Sternenbanner
feierlich die Hand reichten. Auch Winnetou, Old Shatterhand,
Ribanna und Merril schauten ergriffen zu.
Bald darauf verabschiedete sich Winnetou zum letzten Male
von Ribanna und ritt mit seinem weißen Bruder Old Shatterhand
über die Prärie neuen Abenteuern entgegen.
ORIGINAL
ALLE BILDER AUS DEM CINEMASCOPE-FARBFILM NACH DEM GLEICHNAMIGEN ROMAN VON KARL MAY "WINNETOU II" COPYRIGHT ©1964
PRODUKTION: RIALTO-FILM PREBEN PHILIPSEN/ JADRAN-FILM
VERLEIH: CONSTANTIN-FILM
FILM-PLAKATE-POSTER
Plakat DIN A1 "Winnetou 2. Teil" (EA Constantin 0864) und (EA Constantin 0764)
Erscheinungsjahr | 1964 (EA 17.09.1964) |
Regie | Dr. Harald Reinl |
Drehbuch | Harald G. Petersson |
Musik | Martin Böttcher |
Kamera | Ernst W. Kalinke |
Film | Cinemascope (2.35:1), 35 mm, Eastman Color |
Original-Film (KINO) | 2578 m = 94 min. 14 sec. |
TV/VIDEO/DVD * | 90 min. 27 sec. |
FSK: | Ab 12 Jahren, später ab 6 Jahren (gekürzte Fassung) |
Bemerkungen | Bambi (1965) Goldene Leinwand (1965) |
Prädikat | "Wertvoll" |
* | Die Differenz zur Kinofilm Laufzeit erklärt sich durch die um ein Bild pro Sekunde höhere Video Bildfrequenz. (KINO 24 Bilder/Sek.) (TV 25 Bilder/Sek.) (PAL-SYSTEM) |