WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND

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WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND

Bilder aus dem Ultrascope-Farbfilm der Rialto Film Preben Philipsen GmbH & Co. KG und der Jadran-Film Zagreb nach Roman-Motiven von Karl May

Produktion: Rialto/ Jadran
Regie: Alfred Vohrer
Gesamtleitung: Horst Wendlandt

Personen und ihre Darsteller:

Winnetou . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  Pierre Brice
Old Firehand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rod Cameron
Nscho-tschi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  Marie Versini
Silers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  Harald Leipnitz
Tom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  Todd Armstrong
Michèle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nadia Gray
Mendozza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rik Battaglia
Jace . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  Jörg Marquard
Billy-Bob Silers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Wilz
und
Ravenhurst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Viktor de Kowa
mit
Vladimir Medar (Caleb), Ilija Ivecic (Moses)
Dusko Antonijevic (Leon Mercier), Miha Baloh (Capitano Quilvera)
Aleksandar Gavric (Derks), Boris Dvornik (Priester) u. a.

Verleih: Columbia-Bavaria
Weltvertrieb: Columbia Pictures


WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND

Ein Trupp indianischer Krieger trieb eine Herde prächtiger, schwarzer Mustangs über die Prärie gegen Osten auf die dunklen Ketten der Berge zu. Die Indianer waren groß und kräftig, gewandte Reiter, mit Speer, Bogen und Pfeilen bewaffnet. Der Anführer aber war anders als alle. Stolzer und geschmeidiger saß er zu Pferd, wie mit dem Rücken des Tieres verwachsen. Kühn blickten seine Augen. Ein schmales Band von Schlangenhaut hielt sein flatterndes schwarzes Haar zusammen. Um den Hals trug er die Friedenspfeife und eine Kette aus Krallen des grauen Bären. Es war Winnetou selber, der große Häuptling der Apatschen. Vor ihm im Sattel lag seine berühmte Silberbüchse, deren Schuß nie fehlging. Ihm zur Seite ritt seine Schwester Ntscho-tschi auf einem prächtigen Schimmel.
In der Gegend, durch die Winnetou seine Krieger und die Mustangs führte, trieb eine berüchtigte Räuberbande ihr Unwesen. Eben ritt Silers, der Anführer, mit einer Bande von fünfzig Banditen über die ersten Hügel vor dem Gebirge. Plötzlich zügelte er sein Pferd und gab seinen Leuten das Zeichen anzuhalten. Lachend zeigte er hinaus in die Prärie, wo die Apatschen und ihre Mustangs ruhig dahinzogen. Wortlos blickte er von einem seiner Unteranführer zum andern.
Diese nickten nur. Da hob Silers seinen Revolver, knallte einen Schuß in die Luft und galoppierte los. Seine Männer folgten ihm den Hügel hinunter. Silers und die sieben Unteranführer ritten in einer Reihe nebeneinander. Der Trupp der andern folgte hinter ihnen. Sie hetzten ihre Pferde und hielten direkt auf die Indianer und die Mustangs zu.
Winnetou hatte trotz der Entfernung Silers Schuß gehört. Er fuhr herum und sah die heranstürmenden Räuber. "Kahüi!" gellte sein Warnruf auf. Sofort trieben die Krieger die Mustangs zum Galopp, aber die Verfolger waren schon zu nahe herangekommen. Winnetou erkannte, daß die Feinde in allzu großer Überzahl waren und daß nur die schnellste Flucht seinen Kriegern, Ntscho-tschi und ihm das Leben retten konnte. Die Mustangs waren zu langsam und mußten zurückgelassen werden. In rasendem Galopp jagte Winnetou seinen Kriegern voran den schützenden Bergen entgegen. Doch schon eröffneten die Verfolger das Feuer. Zwei, drei Apatschen stürzten getroffen von den Pferden. Die übrigen galoppierten weiter, um den nächsten Schüssen zu entgehen. Als die Räuber die Mustangs erreicht hatten, hielten sie an und begannen die Tiere einzukreisen. Silers schaute zufrieden zu. Dann winkte er den Unteranführer Vince heran. "Wir können

keine Zeugen brauchen - du erledigst das", befahl er knapp. Vince nickte grinsend: "In Ordnung!" Sogleich nahm er mit fünfzehn Männern die Verfolgung der Indianer auf, die sich schon den Bergen näherten und ihnen im Hügelgelände bald aus den Augen kamen.
Als er um eine Felsengruppe bog, sah sich Winnetou plötzlich einer Gruppe von vier Reitern und vier hoch mit Fellen bepackten Maultieren gegenüber. Der junge Tom, der wortkarge Moses und der treue Caleb führten die Lasttiere. Ihr Anführer, ein großer, schwerer Mann, trug ein Gewehr mit dem Kolben auf dem Sattelknopf, im Gürtel einen Revolver, ein Messer und einen Tomahawk. Winnetou parierte sein Pferd vor ihm und antwortete auf seine Frage nach Woher und Wohin: "Winnetou, Häuptling der Apatschen. Die Silers Bande hat unsere Mustangs geraubt und drei unserer Krieger erschossen. Sie verfolgen uns." - "Wir helfen Ihnen, antwortete der Fremde darauf. "Los, kommt!" befahl er seinen Gefährten und galoppierte ihnen voran hinter die Felsen in Deckung. Gewandt sprangen alle von den Pferden und warfen die Zügel um große Steine, damit die Tiere nicht weglaufen konnten. Moses brachte die Maultiere in Sicherheit, während sich seine drei Freunde und die Indianer kampfbereit machten. Ntscho-tschi hielt sich in Winnetous Nähe. Bald kamen die Banditen herangaloppiert. Sie hatten das Versteck der Verfolgten noch nicht bemerkt. Der große Fremde schoß als erster und holte einen Feind aus dem Sattel. Jetzt feuerten auch die drei vordersten Banditen, darauf Tom und Winnetou. Ein wilder Kampf entbrannte. Wenn Ntscho-tschi seine Silberbüchse nachlud, kämpfte Winnetou mit der Lanze oder dem Bogen eines seiner Krieger. Ruhig, wie ein Fels, stand der große Fremde da, ruhig zielte und schoß er und fehlte nie. Trotz großer Verluste gaben die Banditen nicht auf. Immer wieder griffen sie an, immer wieder wurden sie zurückgeschlagen. Einer nach dem andern wurde von Kugeln, Pfeilen oder Lanzen getroffen und stürzte. Vince sah ein, daß sie geschlagen waren, wenn der große Fremde

am Leben blieb. Er beschloß einen gewagten Angriff auf ihn. Er trieb sein Pferd durch die Felsenlücke und sprang seinen Feind von hinten an. Doch Winnetou hatte ihn bemerkt. Sein Pfeil schnellte von der Sehne und durchbohrte Vince den ausgestreckten Unterarm. Nun floh auch Vince. Der Kampf war aus. Mehr als die Hälfte der Banditen war gefallen. Aber auch ein Apatschenkrieger und der schweigsame Moses hatten ihr Leben lassen müssen. Ntscho-tschi war verletzt. Winnetou trat zu dem großen Fremden, reichte ihm die Hand und sprach: "Ihr habt uns das Leben gerettet. Darf ich Euren Namen wissen?" Da trat Tom hinzu und antwortete stolz: "Man nennt ihn überall Old Firehand!" Winnetou war überrascht: "Ihr seid also der berühmte Old Firehand! Jetzt verstehe ich alles. Man erzählt, daß Ihr noch nie ein Ziel verfehlt habt." Old Firehand entgegnete gelassen: "Die Leute reden viel, aber es stimmt schon, ich vergeude nicht gern gute Munition."
Später standen alle an Moses' Grab, Winnetou und Ntscho-tschi schon im Sattel. Die Indianer hatten ihren gefallenen Kameraden auf ein Pferd gebunden und warteten auf den Befehl des Häuptlings. Winnetou gebot ihnen, nach Hause zu reiten und dort von dem Kampf mit der Silers-Bande zu berichten. Old Firehand wandte sich von dem Grabe ab und trat zu Winnetou: "Hier trennen sich wohl unsere Wege, Häuptling." Aber Winnetou verneinte: "Noch nicht, meine Schwester und ich reiten mit Euch in die Stadt. Winnetou verlangt Gerechtigkeit." Ohne ein weiteres Wort setzte sich Old Firehand daraufhin an die Spitze des Zuges. Schweigend ritten die Männer über die Hügel nach der Stadt Miramonte, wo sie Gerechtigkeit für sich und die Silers-Bande zu finden hofften. Als sie schon den größten Teil des Weges zurückgelegt hatten, mußten sie noch einen engen Paß überqueren, der von zwei mexikanischen Soldaten bewacht war. Der Hufschlag der nahenden Pferde weckte die schlafenden Wächter. Erschrocken sprangen sie auf, rannten zum Paß hinunter und stellten sich mit gezogenen Revolvern vor Winnetou und Old Firehand. Barsch fragte der eine: "Wohin?" - "Nach Miramonte", antwortete Old Firehand ruhig. "Dann vorwärts, los!" kommandierte der Soldat. Achselzuckend setzte Old Firehand sein Pferd wieder in Trab, und die andern folgten ihm. Der eine Wachtsoldat begab sich wieder auf seinen Posten, der andere sprang auf sein Pferd und setzte sich, immer noch mit gezogenem Revolver, an den Schluß der Reiterkolonne.

Silers und seine Leute hatten die Mustangs der Apatschen zu einer verlassenen, schon halb verfallenen Hazienda getrieben. Dort standen sie jetzt unruhig im Corral. Silers war im einzigen noch brauchbaren Raum des Hauses, der ihm als Hauptquartier diente, verschwunden. Die Banditen ließen ihre Pferde ohne sie abzusatteln am Zaun stehen und erholten sich auf dem großen Hofplatz vor dem Haus. Einige lagen im Schatten auf dem Boden, hatten die Hüte aufs Gesicht gelegt und schliefen. Zwei Mexikaner aus der Bande lehnten an einem Felsblock und spielten auf alten Gitarren traurige Lieder. Andere saßen um ein Feuer und warteten auf die Suppe, die im Kessel kochte. Wieder andere übten sich im flinken Ziehen und Anlegen der Waffen und im Messerwerfen. Der Unteranführer Derks schaukelte in einer Hängematte vor dem Haus. Alle waren zufrieden und freuten sich über den gelungenen Raubzug.
Plötzlich ertönte aus der Ferne Hufschlag, der sich rasch näherte, und bald galoppierte Vince mit dem Rest seiner Leute ins Lager. Sofort sprang Derks aus der Hängematte und trat auf den Hausplatz. Auch die meisten andern Banditen standen auf und kamen neugierig näher. Vince kletterte mühsam vom Pferd. In seinem Arm steckte immer noch Winnetous Pfeil. Er wankte zum Brunnen und trank in langen Zügen. Derks trat ein paar Schritte näher und spottete: "Es scheint ja schrecklich schwer zu sein, mit ein paar Indianern fertig zu werden." Wortlos drehte Vince sich um und goß dem Spötter eine Kelle voll Wasser ins Gesicht. Es wäre zu einer Schlägerei gekommen, wenn nicht Silers Befehl die Streitenden getrennt hätte. Jetzt trat Silers näher. Sein Blick blieb einen Moment auf dem Pfeil in Vinces Arm haften. Dann fragte er gefährlich ruhig: "Wo sind die andern?" Vince suchte sich zu entschuldigen: "Wir sind in eine Falle geraten, die andern sind tot!" Da trat Silers nahe an Vince heran und riß ihm mit einer scharfen Bewegung den Pfeil aus dem Arm. "Das nächstemal kommst du nicht so billig weg", sagte er kalt und wandte sich ab, um wieder ins Haus zu gehen.
Da ertönten erneut Hufschläge, diesmal von einem einzelnen Pferd. In rasendem Tempo galoppierte schon ein Reiter auf den Hofplatz und parierte sein Pferd hart vor Silers. Atemlos rief er dem Banditenführer zu: "Sie haben Billy-Bob geschnappt! Wir waren in Miramonte beim Kartenspielen. Da behauptete einer, Dein Bruder spiele falsch. Billy-Bob legte ihn natürlich um und wurde von Sergeant Mendozza sofort festgenommen. Jetzt steht er in der Wirtsstube an einen

Stützpfeiler gefesselt, und die Leute streiten sich um ihn!" Immer noch außer Atem schwieg der Bote. Spöttische Stimmen wurden laut, aber Silers brachte sie mit dem unmißverständlichen Griff zur Waffe zum Schweigen. Ohne ein Wort ließ er den Boten stehen und ging ins Haus zurück.

Miramonte schien menschenleer. Nur Schafe, Maultiere, Ochsen und magere Hühner belebten die Straße. Die Kirchturmglocke schlug scheppernd die Stunde. Zwei schmutzige Kinder tauchten auf und schlenderten zwischen den Tieren umher. Plötzlich schauten sie auf, nahmen einander an der Hand und rannten los auf den Stadteingang zu. Dort erschienen gerade Old Firehand, Winnetou und Ntscho-tschi mit ihren Begleitern und den Packpferden, immer noch eskortiert von dem Wachtsoldaten. Die Kinder betrachteten die Reiter mit aufgerissenen Augen, rannten zurück und schrien mit gellenden Stimmen: "Fremde kommen! Indianer kommen! Indianer!" Vor der Wirtschaft, der Cantina, sprangen die fremden Reiter von ihren Pferden. Ntscho-tschi, Tom und Caleb mußten draußen warten, bewacht von einem mexikanischen Soldaten.
Old Firehand und Winnetou betraten mit ihrem Wächter die Cantina. Erregtes Stimmengewirr schlug ihnen entgegen. Zornige Männer drängten sich um Sergeant Mendozza und um B!Ily-Bob, der immer noch an den Stützpfeiler gefesselt stand. Andere saßen mit finsteren Gesichtern an den Tischen. Mendozza rief gerade: "Wir sind alle verloren, wenn wir Billy-Bob laufen lassen. Ist er frei, schont uns sein Bruder nicht mehr!" Viele Männer stimmten ihm zu. Puglia aber war anderer Meinung und rief: "Nein, laßt ihn laufen, dann läßt Silers uns bestimmt in Ruhe!" - "An den Galgen mit ihm!" - "Nein, laßt ihn laufen!" - "Wir haben mit dem Banditengesindel nichts zu tun!" schrien die aufgeregten Männer jetzt durcheinander. "Er hat meinen Sohn erschossen, dafür soll er büßen!" rief ein graubärtiger Mann. In diesem Durcheinander war es dem Wachtposten nicht gelungen, sich bemerkbar zu machen. Erst jetzt sah Mendozza ihn und seine Begleiter. Er trat zu ihnen und fragte sie nach Namen und Reiseziel. Winnetou antwortete ruhig: "Ich bin Winnetou, der Häuptling der Apatschen. Silers hat uns überfallen, unsere Mustangs geraubt und vier meiner Krieger getötet. Ich suche Gerechtigkeit." - "Da hört ihr es!" rief Mendozza den Männern zu, "wenn Ihr Silers Bruder freilaßt, wird Euer Dank der Tod

sein!" Einer aus der Menge erwiderte höhnisch: "Wer weiß denn, daß diese Rothaut nicht lügt?" - "Ich!" entgegnete Old Firehand ruhig und trat einen Schritt vor. "Silers Bande hat auch einen von meinen Männern getötet." - "Und wenn schon!" schrie der Mann aus der Menge, "wir lassen uns nicht den Hals abschneiden!" Ernst antwortete Winnetou darauf: "Mein Hals wäre jetzt schon abgeschnitten, aber Old Firehand hat mich gerettet." Alle horchten auf. Der Name Old Firehand war ihnen als der eines großen Helden und Jägers bekannt. "Was, wie, Ihr seid Old Firehand?" fragten sie durcheinander. "So nennt man mich", antwortete der berühmte Mann nur.
Der Streit um Billy-Bob flammte heftiger auf als zuvor. Einige wollten ihn sogar losbinden, um ihn an Ort und Stelle zu richten. Doch Mendozza verhinderte dies. Er versprach dem Vater des Erschossenen: "Der Mörder Deines Sohnes soll gehängt werden, aber erst, wenn ein Gericht ihn verurteilt hat. So verlangt es das Gesetz." - "Er hat recht, Leute, hört auf ihn", unterstützte ihn Old Firehand, und ein alter Mann bekräftigte: "Nein, Mord kann nicht durch Mord gesühnt werden." Und wirklich, jetzt beruhigten sich die Männer, und Mendozza konnte den Gefangenen in den Nebenraum der Cantina, der als Gefängniszelle diente, zurückbringen lassen. Jetzt endlich konnte Jace, der schon vor einer Weile die Cantina betreten hatte, zu Worte kommen. Er wandte sich an Winnetou: "Eure Schwester ist in unserem Haus, mein Onkel Leon verbindet ihre Verletzung." Der Häuptling dankte mit einem Nicken. Aber Old Firehand sagte zu ihm: "Geht nur zu ihr, wir können hier ja sowieso nichts tun." Winnetou ging. Mendozza folgte ihm. Draußen kommentierte Tom zornig: "Jetzt ist lange genug gewartet, jetzt will ich etwas trinken, und zwar plötzlich." Er wandte sich zur Türe, blieb aber mitten in der Bewegung stocksteif stehen. Er starrte auf Mendozza, erkannte in ihm einen alten Feind, stürzte sich auf ihn, und schon war eine wüste Schlägerei im Gange. Keiner wollte sich geschlagen geben, und schließlich lagen beide erschöpft auf dem Boden. Old Firehand mischte sich nicht in diesen Handel. Seelenruhig trank er sein Glas aus und verließ die Cantina. Jace blieb ihm hartnäckig zur Seite und blickte ihn bewundernd an. Freundlich fragte er den Jüngling nach Namen, Alter, Eltern und Zukunftsplänen. Jace erzählte, seine Mutter heiße Michéle Mercier. Bei diesem Namen horchte Old Firehand auf. Er kannte die Frau von früher her. Sein Vater sei Trapper gewesen, aber schon lange tot, erzählte

Jace weiter. Er selber wolle auch Trapper werden, aber die Mutter wolle nichts davon wissen. "Weißt Du was?" schlug Old Firehand dem Jungen vor, "sag Deiner Mutter, Du hättest Dich mit mir zusammengetan, sie wird sicher nichts dagegen haben." Jace war stumm vor Uberraschung und Glück. Dann rannte er plötzlich los, um seiner Mutter von seinen neuesten Plänen zu erzählen.
Als er zu Hause ins Zimmer stürzte, verabschiedeten sich seine Mutter und sein Onkel Leon eben von Ntscho-tschi und Winnetou. Tadelnd wandte sich die Mutter dann an ihren Sohn: "Wirst Du denn nie lernen, Dich ordentlich zu benehmen!" Aber Jace überhörte den Vorwurf. "Mutter!" sprudelte er heraus, "ich gehe fort, Old Firehand nimmt mich mit!" Er konnte nicht verstehen, daß seine Mutter darüber gar nicht so begeistert schien.

Winnetou und Ntscho-tschi machten vor der Cantina ihre Pferde reisefertig. Tom und Caleb hatten die ihren schon gesattelt. Old Firehand und der Wirt traten herzu, und von der andern Straßenseite näherte sich Mendozza mit schnellen Schritten. "Wie, Ihr wollt schon wieder fort?" fragte er erstaunt. "Ihr wißt, daß ich den jungen Silers nicht freilasse. Wenn wir seinen Bruder nach Miramonte locken, haben wir eine Chance gegen ihn, wenn wir uns alle zusammentun. Ich habe Eure Gewehre gesehen. Männer mit solchen Waffen sind gute Kämpfer. Und ich kenne Silers. Nur weil wir seinen Bruder gefangen haben, wird er Miramonte dem Erdboden gleichmachen." Tom brummte einen Einwand. Aber Leon, der inzwischen dazugekommen war, gab Mendozza recht: "So ist es, niemand ist vor Silers sicher." Caleb warf ein: "Warum laßt Ihr Billy-Bob nicht frei und wartet ab, was geschieht?" Ungeduldig entgegnete Mendozza: "Wenn Billy-Bob in Sicherheit ist, wird Silers uns in den Bergen auflauern und einen nach dem andern erledigen, sobald wir die Stadt verlassen." Jetzt mischte sich auch Tom ein: "Reiten wir fort, es ist nicht unser Kampf, der da ausgetragen wird." Mendozza wollte eine scharfe Antwort geben, aber da ertönte vom Stadteingang her das laute Wiehern eines Pferdes. Erstaunt drehten sich alle um und sahen das Pferd herangaloppieren. Von seinem Maul flogen Schaumflocken, Staub wirbelte unter seinen Hufen auf. Bei den andern Pferden kam es jäh zum

Stehen. Der Reiter im Sattel schwankte vorwärts; dann zur Seite. Bestürzt sahen alle, daß er tot war. Stricke hielten ihn im Sattel fest. In seinem Rücken steckte ein Messer. An dem Heft des Messers leuchtete weiß ein kleiner Zettel. Mendozza hatte in dem Toten den zweiten Wachtposten vorn MiramontePaß erkannt. Er trat zu ihm, nahm den Zettel ab und las ihn. Als er aufsah, blickten seine Augen hart. Alle schauten ihn schweigend an. Aus den umliegenden Häusern kamen die Menschen herbei und scharten sich um ihn, als wollten sie Schutz suchen vor einer drohenden Gefahr. Puglia fragte endlich: "Was ist?" Da las Mendozza den Zettel vor: "So geht es Euch allen, wenn Ihr meinen Bruder nicht freilaßt. Silers." Den Blick nicht von Puglia wendend zerriß er dann den Zettel und warf die Fetzen achtlos weg. Darauf befahl er zwei Soldaten, den Toten vom Pferd zu nehmen. Als das geschehen war, wandte er sich an Old Firehand: "Glaubt Ihr nun, daß wir jeden Mann brauchen, um diese Menschen vor Silers zu schützen?" Ruhig antwortete Old Firehand: "Ich wäre sowieso geblieben." Und zu Winnetou: "Und Ihr, Häuptling?" Winnetou antwortete leise: "Ich habe Euch viel zu danken. Mein Platz ist an Eurer Seite." - "Und Ihr?" wandte sich jetzt Old Firehand an Tom und Caleb. Die beiden waren unentschlossen. Schließlich warf Caleb eine Münze hoch. Kopf sollte reiten bedeuten, Zahl - bleiben. "Los, zeig schon her!" verlangte Tom ungeduldig. Da nahm Caleb die Hand fort: Nach oben lag die Zahl, das hieß also, sie mußten bleiben. Achselzuckend nahmen sie den Entscheid des Loses an.
Leon bat die Männer in sein und Michéles Haus, um dort ungestört und unbelauscht die nötigen Maßnahmen zu besprechen. Sie setzten sich an den Tisch, und Michele schenkte Kaffee ein. Oid Firehand leitete die Beratung. Er fragte Mendozza, ob man sich auf die Männer von Miramonte verlassen könne, oder ob es unter ihnen solche gäbe, die mit Silers unter einer Decke steckten. Mendozza meinte, Ge-

naues wisse er nicht, aber möglich sei alles. Old Firehand überlegte lange, dann sagte er: "In diesem Falle sehe ich keine Möglichkeit, die Stadt vor Silers zu schützen, wenn Ihre Militärpatrouille sie verlassen hat und auch wir fort sind. Es gibt nur eine Lösung: Den Ort verlassen und in eine größere Stadt ziehen, die Silers nicht anzugreifen wagt. Die Leute hier sind arm, es wird ihnen nicht allzu schwer fallen, umzusiedeln. Fragen Sie sie, Mendozza, sie müssen sich schnell entscheiden." Nach einigem Hin und Her sahen alle ein, daß dies die beste Lösung wäre. Mendozza stand auf und bat Leon, mit ihm zu kommen, sein Wort gelte viel bei den Leuten. Die beiden waren schon an der Tür, als Old Firehand ihnen noch nachrief: "Postiert zwei verläßliche Männer als Wachen an diesem Ende der Stadt! Silers ist wütend und rachedurstig. Er wird nicht lange mit dem Angriff warten. Wir müssen bereit sein, uns zu verteidigen!" Mendozza verstand, und eilig ging er mit Leon davon. Nun wandte sich Old Firehand an Winnetou: "Häuptling, ich bitte Euch, auszukundschaften, wo wir am besten eine äußere Verteidigungslinie aufbauen könnten. Und diesen jungen Mann hier", er deutete auf Jace, "nehmt mit Euch, er kann viel von Euch lernen." Winnetou nickte und Jace folgte ihm strahlend.
Ravenhurst, ein Verehrer Michéles, saß in seiner überaus feinen Kleidung wie ein Fremder mit den Männern am Tisch. Zweifelnd fragte ihn Old Firehand: "Und Ihr, können wir auf Euch zählen?" Ravenhurst antwortete bescheiden: "Ich habe während meiner Dienstzeit in Indien bei den Bengal-Lancers einige Erfahrungen gemacht, die hier wohl nützlich sein könnten." Old Firehand horchte auf. Er hatte von den BengalLancers gehört und schaute den feinen Engländer auf einmal mit anderen Augen an. "Gut", bestimmte er, "Sie gehen mit Caleb ans andere Ende der Straße und stellen fest, ob sich dort unbemerkt Wachen aufstellen lassen." Caleb maulte: "Ich? mit dem?" - "Ja, Du mit dem!" wies ihn Old Firehand zurecht. "Haben Sie ein Gewehr?" fragte er dann den Engländer. "Ja", antwortete dieser, "ich besitze einige Waffen, aber im Augenblick wird wohl diese hier genügen." Er hob seinen eleganten Spazierstock und wirbelte ihn in der Hand. Caleb lachte höhnisch auf und spottete: "Wollen Sie sich mit den Banditen prügeln?" Rasch streckte Ravenhurst den Stock nach Calebs Schnapskrug aus, und schon barst dieser in Scherben, und der Schnaps floß auf den Tisch. Eine tükkische, messerscharfe Klinge ragte aus der Stockspitze hervor. Ravenhurst lächelte leise, strich leicht mit zwei Fingern

über das Metall, verbeugte sich vor Michéle und ließ mit leichtem Druck die Klinge in den Stock zurückschnappen. Caleb hatte ihm völlig verdutzt zugesehen. Jetzt ging er ziemlich kleinlaut mit Ravenhurst hinaus.
Tom griff nach seinem Gewehr und wollte den beiden folgen. Aber Old Firehand gab ihm den Auftrag, mit Ntscho-tschi durch den Ort zu reiten und die Augen und Ohren nach allem Verdächtigen offen zu halten. Tom war wenig erbaut davon, ein Mädchen mitnehmen zu müssen. Aber Old Firehand beruhigte ihn: "Vier Augen sehen mehr als zwei, und von Winnetou hat sie gelernt, sich zu wehren, wenn sie angegriffen wird." Wie recht er damit hatte, erfuhr Tom, als er Ntschotschi im Fellschuppen ein wenig zu nahe kam. Blitzschnell hatte sie ihr Messer gezogen und stieß damit zu, so daß er sich nur mit einem schnellen Sprung zur Seite retten konnte. "So eine Wildkatze", brummte er, und blieb von da an immer in respektvoller Entfernung von der Indianerin.

Die Nacht war hereingebrochen. Die Straßen von Miramonte waren still und leer. Die Bürger blieben in ihren Häusern. Da tauchte ein Mann aus dem Dunkel auf, der ein Pferd an der Halfter führte. Vorsichtig, jeden Lärm vermeidend, näherte er sich der Cantina. Dort band er das Pferd fest, sah sich nach allen Seiten um und betrat dann die Wirtsstube. Diese war leer bis auf Puglia und drei andere Männer, die zusammen um einen Tisch saßen. Jetzt drehten sie sich um, und der Eintretende nickte ihnen zu. Er ging auf den Wirt zu, der untätig hinter der Theke stand, und hielt ihm wortlos die offene Hand hin. Ebenso wortlos nahm der Wirt einen Schlüssel vom Nagel und legte ihn dem Mann in die Hand. Jetzt nickte Puglia seinen drei Männern zu. Sie standen auf, gingen quer durch die Wirtsstube und stellten sich vor der Tür zum Nebenraum auf. Puglia nahm den Schlüssel, steckte ihn ins Schloß und öffnete. Alle andern zogen die Revolver und warteten schußbereit. Mit einem Ruck riß Puglia die Türe auf, und seine drei Männer sprangen alle gleichzeitig in den Nebenraum hinein. Der erschrockene Wachtposten wurde überwältigt, und Puglia schnitt dem gefangenen Billy-Bob die Fesseln durch. Er gab dem verdutzten Gefangenen das Gewehr des Wachtpostens in die Hand und stieß ihn in die Wirtsstube hinüber. Schnell hatte sich Billy-Bob wieder gefaßt. Er rieb sich die Handgelenke und bedankte sich bei Puglia für seine Befreiung:

"Das wird Euch mein Bruder nicht vergessen!" Puglia antwortete nur: "Draußen steht ein Pferd für Euch." Billy-Bob trat an die Theke, und der Wirt schenkte ihm einen Schnaps ein. Eben führte Billy-Bob das Glas zum Munde, als ein Schuß krachte und das Glas in Scherben sprang. Gleichzeitig fuhr Billy-Bob herum, feuerte sein Gewehr ab und schoß dem Wachtposten, der aus seinem Revolver den ersten Schuß abgegeben hatte, die Waffe aus der Hand. Er wollte sofort zum zweitenmal auf den Wächter schießen, aber Puglia schlug ihm das Gewehr aus der Hand mit den scharfen Worten: "Wir haben Euch befreit, um Miramonte zu retten, nicht, damit Ihr einen neuen Mord begeht! Und jetzt verschwindet!" Die Schüsse hatten die Bürger aus dem Schlaf gerissen. Da und dort flammte Licht auf. Fenster wurden geöffnet, Fragen gerufen. Old Firehand, Winnetou und Caleb kamen aus Micheles Haus, von der andern Seite rannten Mendozza und ein Soldat herbei. Alle eilten zur Cantina. Puglia, Billy-Bob und die drei Männer traten eben aus der Tür, wollten aber schnell in die Wirtsstube zurück, als sie die Heraneilenden sahen. "Halt! Stehenbleiben! Hände hoch!" rief Mendozza und zog die Waffe. Old Firehand und die andern machten sich auch schußbereit. Als erster befolgte Puglia den Befehl und hob die Hände über den Kopf. Seine drei Männer folgten schnellstens seinem Beispiel. Billy-Bob aber sah sich von neuem gefangen. Er riß sein Gewehr hoch und schoß auf Mendozza, doch der Schuß ging vorbei, und Billy-Bob flüchtete in die Cantina zurück. Nach kurzem Kampf mit seinem Wächter entkam er durch eine Hintertür ins Freie. Unerwartet sah er sich dort Caleb gegenüber, der sogleich auf ihn anlegte. Fast gleichzeitig schossen die beiden, Caleb nur um den Bruchteil einer Sekunde schneller. Tödlich getroffen sank Billy-Bob zu Boden, und das Gewehr fiel ihm aus der Hand.
Old Firehand, Winnetou, Mendozza und einige mutige Bürger kamen herbei und umringten Caleb und den toten Banditen. "Jetzt hast Du unseren einzigen Trumpf gegen Silers ver-

spielt", sagte Old Firehand zu Caleb. Aber der wollte sich nichts sagen lassen und fuhr auf: "Kann ich denn etwas dafür, daß er plötzlich vor mir stand?" - "Nein, Puglia ist schuld, er wollte Billy-Bob befreien, dafür wird er bestraft werden." Puglia begehrte sofort auf: "Dann müßt Ihr die halbe Stadt bestrafen, aber das wird nicht nötig sein, ich verlasse morgen die Stadt!" Dann wandte er sich großspurig an die umstehenden Bürger: "Wer keine Lust hat, hier umzukommen, fahre morgen mit mir weg!" Mendozza wollte sich auf den Schreier stürzen, aber Old Firehand hielt ihn zurück. Puglia verschwand unter den Neugierigen, und bald waren diese wieder in ihren Häusern verschwunden.
Am nächsten Vormittag verließen zehn schwer mit Hausrat beladene Ochsenkarren die Stadt. Auf dem vordersten Wagen saß Puglia mit seiner Familie, auf den andern folgten die Familien, die sich entschlossen hatten, ihm zu folgen. Die zurückbleibenden Bürger standen mit ernsten Gesichtern am Straßenrand und schauten ihnen nach. Neben Puglias Wagen lief Mendozza und versuchte noch im letzten Moment, den Mann umzustimmen: "Ich warne Euch! Ihr habt Euch für den falschen Weg entschieden!" Puglia entgegnete erregt: "Und Ihr begeht eine Dummheit, wenn Ihr Silers Widerstand leistet!
Aber warten wir ab, wer klüger ist!" - "Ja... warten wir's ab!" rief Mendozza und blieb zurück.
Am Rande eines Felsenkessels, hinter Felsblöcken versteckt, beobachteten drei von Silers Banditen den Stadtausgang. Sie sahen die Ochsenkarren die Stadt verlassen, und ihre Augen leuchteten auf. Sie warteten, bis sie sicher waren, daß die Karawane nicht umkehren würde. Dann galoppierten sie davon, um Silers Meldung zu erstatten.
Die Reisenden hatten nichts von den Banditen bemerkt. In einer Staubwolke zog die Karawane langsam dahin. Niemand sprach. Plötzlich stutzte Puglia und richtete sich halb auf, um besser sehen zu können. Da vorn kam Silers mit allen seinen Leuten angaloppiert. Sie waren schon ganz nahe. Jetzt stand Puglia ganz auf, hob die Hand und rief der Bande ein lautes "Haaalt!" entgegen. Der Wagenzug kam zum Stehen, und angstvbll gespannt schauten die Leute den Banditen entgegen. Bald waren die Wagen von Banditen umringt. Puglia stieg ab, zog vor Silers den Hut und grüßte unterwürfig. Aber Silers achtete nicht auf ihn. Er gab mit dem Kopf ein Zeichen, und einige Banditen durchsuchten alle Wagen nach Waffen. "Wir haben keine Gewehre!" beeilte sich Puglia zu versichern. "Sie wurden uns weggenommen, weil wir versuchten,

Eurem Bruder zu helfen!" - "Nun, und was ist mit ihm?" herrschte Silers. "Er... er wurde erschossen . . . von einem der Trapper! Er ist... er ist tot!" stotterte Puglia hervor. "Wir hier, wir haben versucht, ihn zu befreien, wir wollten nicht gegen Euch kämpfen, wir sind Freunde!" fuhr er mutiger fort. Silers blieb stumm, aber seine Augen waren haßerfüllt. An seiner Stelle antwortete Derks. "Jeder ist Silers Freund, der zu feige ist, sich zu wehren", sagte er mit leiser, verächtlicher Stimme. Dann zog er plötzlich sein Messer, holte weit aus, und Puglia fiel in die Brust getroffen zu Boden. Es entstand große Verwirrung bei den Auswanderern. Sie begannen zu ahnen, in welche Gefahr sie sich mit ihrem Auszug aus Miramonte begeben hatten. Aber jetzt war es zu spät zur Umkehr, sie waren verloren.

Am selben Vormittag war in Miramonte Billy-Bob Silers beerdigt worden. Aber niemand beachtete das Begräbnis, die Leute gingen ihren alltäglichen Beschäftigungen nach. Die Straße war wenig belebt. Nichts war zu hören als das Bimmeln der Totenglocke. Da kam plötzlich einer der Wachtposten in die Stadt galoppiert. Beinahe hätte er Ravenhurst umgeritten. Erstaunt blieben alle stehen, Neugierige kamen aus den Häusern. Aus der Cantina traten Old Firehand, Winnetou, Mendozza und Leon. Vor ihnen zügelte der Wachtposten sein Pferd und keuchte: "Sie kommen zurück! Puglia kommt zurück!" Diese Nachricht sprach sich sofort überall herum, und alle Leute versammelten sich auf der Straße, um die Ankommenden zu empfangen.
Old Firehand, Winnetou und Leon gingen mit Mendozza dem heranrurnpelnden Karrenzug entgegen. Ohne das Tempo zu verlangsamen, stampften die Ochsen mit ihren Karren jetzt in die Stadt hinein. Auf den Gesichtern der Wartenden malte sich immer mehr ungläubiges Erstaunen, dann nacktes Entsetzen. Die Wagen waren alle leer bis auf die Fahrer. Die saßen tot auf ihren Bänken, von Stricken aufrecht festgehalten. Silers hatte seine Drohung wahrgemacht. Frauen und Männer sanken neben den Wagen in die Knie und bekreuzigten sich. Old Firehand schaute sich um. Zufällig fiel sein Blick auf den Rand des Felsenkessels vor der Stadt. Dort sah er Silers Banditen sich mit den Gewehren im Anschlag langsam erheben. Sofort stieß er Michele und Jace ins Haus und schrie der Menge zu: "Zurück! In die Häuser! In Dek-

kung!" Erschrocken gehorchten die Leute und liefen flüchtend auseinander. Es war keine Sekunde zu früh. Schon krachte vom Felsenkessel her eine Salve aus vielen Gewehren, und mit einer gewaltigen Explosion flogen zwei der getroffenen Ochsenkarren in die Luft. Silers hatte sie mit Dynamitpatronen geladen. Die Explosion riß ein tiefes Loch in die Straße. Trümmer flogen. Staub und Rauch verdunkelten die Luft. Schreiende Frauen suchten sich mit ihren Kindern in Sicherheit zu bringen. Old Firehand riß zwei Kinder an sich und trug sie ins nächste Haus. Zwei Häuser brannten schon. Da flog ein weiterer Karren in die Luft, dann noch einer. Ein heilloses Durcheinander herrschte. Menschen und Tiere wußten nicht mehr, was sie taten. Ntscho-tschi wurde von den Trümmern eines Wagens zu Boden geworfen, doch Tom eilte herbei und zog sie aus den Flammen. Auch Winnetou, Old Firehand, Leon und Ravenhurst blieben besonnen und halfen, wo sie konnten. Caleb und Jace befreiten das Vieh aus dem Corral, dessen Umzäunung schon lichterloh brannte. Mendozza schoß voller Verzweiflung auf den Rand des Felsenkessels. Zwei Soldaten halfen ihm. Aber die Sicht war durch Qualm und Staub so schlecht, daß die drei Schützen keinen Erfolg hatten.
Oben am Rande des Felsenkessels stand Silers und schaute auf die brennende Stadt hinunter. Er hörte die Explosionen dröhnen, die Schreie von Menschen und Tieren gellen. Er roch den Rauch. Er konnte sich nicht von dem grausigen Schauspiel abwenden, das seine Rache war für den Tod seines Bruders. Endlich befahl er: "Wir reiten zurück!"
Der nächste Tag sah von Miramonte nur noch rauchende Trümmer. Die ganze Stadt war verbrannt und verwüstet. Nur die Kirche, die Cantina und Michäles Haus standen noch. Vor diesem war ein Verbandsplatz eingerichtet worden, wo Leon die Verletzten pflegte. Michäle legte Verbände an und tröstete da und dort. Jace riß Tücher in lange Streifen, denn es wurde viel Verbandsstoff benötigt.

Winnetou fuhr eine Wagenladung Heu in die Kirche. Hier sollten die untergebracht werden, die alles verloren hatten. Ntscho-tschi hatte in einem großen Kessel über offenem Feuer Suppe gekocht, die sie jetzt an die Hungrigen verteilte. Auf dem Friedhof neben der Kirche waren Männer dabei, ein großes Grab auszuheben. Hier sollten die Opfer des schrecklichen Anschlags begraben werden.
Vor der Cantina standen Old Firehand und Mendozza zusammen und besprachen die Lage. Mendozza erklärte, es seien fünf Mann als Wachen aufgestellt, genug, damit die Feinde die Stadt nicht überraschen könnten. Old Firehand sagte ernst: "Wir müssen auf alles gefaßt sein. Silers wird wiederkommen. Wir müssen uns auf eine regelrechte Belagerung vorbereiten." In dem Moment trat Ravenhurst aus seinem halbabgebrannten Haus. Er war mit Gewehren und anderen Waffen beladen und ging auf Old Firehand und Mendozza zu. Dieser schmunzelte: "Jetzt werden wir wenigstens genug Waffen haben." Nun war Ravenhurst herangekommen und fragte: "Wo ist mein Posten? Ich stehe zur Verfügung." Old Firehand antwortete, der werde ihm demnächst zugewiesen, und nahm ihm den Degenstock aus der Hand. Damit fing er an, einen Lageplan in den Sand zu zeichnen: Die Cantina, die Kirche und als Mittelpunkt der Verteidigung das Haus Mercier, dann den Viehcorral, den Schuppen, und, leider ziemlich weit von allen Punkten entfernt, den Stadtbrunnen. Dann erklärte er: "Die Punkte, von denen am meisten Gefahr droht, sind der freie Raum zwischen Schuppen und Cantina, die deshalb unter allen Umständen gehalten werden müssen, und der Felsenkessel. Wir brauchen also Schützengräben unter allen Stützpunkten, und diese auszuheben, ist Ihre Aufgabe, Ravenhurst. Das ist vorläufig alles, wir treffen uns nachher zu weiteren Besprechungen in der Cantina." Damit ging er davon. Erst aus ziemlicher Entfernung warf er Ravenhurst den Degenstock zu. Als dieser ihn mit einer Hand elegant aus der Luft auffing, nickte er befriedigt.

FORTSETZUNG: WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND TEIL II


ORIGINAL

ALLE BILDER AUS DEM ULTRASCOPE-FARBFILM "WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND" NACH ROMAN-MOTIVEN VON KARL MAY
©1966
PRODUKTION: RIALTO/ JADRAN FILM
VERLEIH: COLUMBIA-BAVARIA